Irgendeinen Moment muss es gegeben haben, in dem die französische Hauptstadt den Ruf als Stadt der Liebe für sich pachtete -danach wurde er immer wieder in schwülstigen Schmachtliedern zementiert. Nicht einfach also der Auftrag an 21 renommierte Regisseure aus der ganzen Welt, einen unverfälschten, originellen Mosaikstein zum Episodenwerk "Paris, je t'aime" beizutragen. Dennoch sind viele Regisseure ohne Café au lait und Baguette ausgekommen und erzählen von der Liebe, wie sie sich jeden Tag in winzigen Szenen und Begegnungen einer großen Metropole abspielt.
Vor einigen Jahren zeigte die britische Produktion "Weil es tatsächlich Liebe ist", wie kurzweilig aneinander montierte Handlungsstränge zu einem interessanten Gesamtkunstwerk zusammenwachsen können - "Paris, je t'aime" verfolgt eine etwas andere Strategie: In jedes der 18 Innenstadt-Arrondissements wurde ein Regisseur geschickt, der - ausgestattet mit einem kurzen Briefing zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten - auf die Pirsch nach Bildern für seine Filmidee ging. Die Regisseure waren nicht gezwungen, ihre Protagonisten in einem finalen Showdown aufeinander treffen zu lassen, wie es in der britischen Weihnachtskomödie der Fall ist. So bleibt eine überwältigende Vielfalt an Perspektiven auf das pulsierende Paris erhalten.
Spielerische Leichtigkeit statt dramatischen Aha-Momenten
Bereits 2004 lieferte Tom Tykwer den ersten Beitrag für das Projekt ab. Fortan fungierte der Film als Köder, um andere namhafte Regisseure für die Idee zu begeistern. Mit Anleihen an das rasante Erzähltempo in seinem Durchbruch "Lola rennt" erzählt Tykwer in glaubhaften Bildern von der zarten Romanze eines blinden Jungen. Beim Durchstreifen der kleinen Gässchen hört er aus einem offenen Fenster ein junges Mädchen um Hilfe schreien. Er kann nicht wissen, dass sie für ein Theater-Vorsprechen probt. Sie müsste zu spät zum Vorsprechen kommen, würde der Junge nicht geheime Schleichpfade kennen. Besonders erfrischend ist an "Paris, je t'aime", dass die Kurzfilme nicht alle auf einen dramatischen Aha-Moment zusteuern. Viele begnügen sich mit leichten, spielerischen Impressionen, nicht alle erzählen eine Geschichte. Die Episoden sind aus dem Leben gegriffen und gestehen dem Zuschauer das eigentümliche Vergnügen eines Voyeurs zu.
Für Langeweile bleibt keine Zeit. Schon wartet Sylvain Chomet mit der comichaft überzeichneten Geschichte eines einsamen Pantomimen. Bei einigen Episoden wie der U-Bahn-Szene der Brüder Coen ist die typische Handschrift der Macher zu erkennen. Der Regisseur Sylvain Chomet hingegen - in Frankreich bekannt für raffinierte Trickfilme - musste sein Konzept wegen des knappen Budgets mit echten Schauspielern umsetzen. Auf seinem Luftmofa rast der Pantomime durch die Stadt und erntet von allen Seiten nur Verachtung für seine brotlose Kunst. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses landet er im Gefängnis - und trifft dort auf seine große Liebe. Was beim Zuschauer im ersten Moment Mitleid auslöst, entpuppt sich für den Pantomimen als Glücksgriff. Und warnt davor, sich vorschnell ein Urteil über das Leben anderer zu machen.
So ist es auch beim Film von Alexander Payne, der eine fettleibige amerikanische Touristin beim Spaziergang durch Paris zeigt. XXL-Klamotten in grellen Farben, dazu das Doppelkinn: Man ertappt sich beim Etikettieren und ist hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Abneigung. Doch wie sie bei einer Rast auf einer Parkbank einen kurzen Moment des Einsseins und der bedingungslosen Liebe für alles auf der Welt verspürt, ist geradezu anmutig.
Hommage an die Lebendigkeit
Besonders viel Wert legten die Produzenten darauf, dass Frankreich in der Regisseurs- und Schauspielergarde üppig vertreten ist. Doch es sind vor allem die Filme ausländischer Vertreter, die mit einer gelungenen Momentaufnahme überraschen und aus dem Kaleidoskop "Paris, je t'aime" eine abwechslungsreiche Hommage an die Lebendigkeit machen. Zahlreiche Nachwuchsschauspieler glänzen neben bekannten Gesichtern wie Juliette Binoche, Natalie Portman und Elijah Wood, die länger nicht mehr auf der Leinwand zu sehen waren. Verlässt man das Kino, ist der Frühling zumindest im Herzen ein großes Stück näher gerückt.