Ganz ehrlich: Das Prinzip des Konzertmitschnitts ist eines für Insider. Man liebt die Band, man verehrt die Musik, also genießt man den Auftritt daheim vor dem DVD-Player gerne immer wieder. So kann man Mick Jaggers berühmte Flunsch noch mal in Großaufnahme studieren oder dieses eine Stück, das vor 30 Jahren die Revolution im Privaten bedeutete, zehn Mal hintereinander sehen. Und dazu rollt Rock-Zombie Keith Richards immer wieder mit den Augen. Als Kinoerlebnis für den Filmfan wird Martin Scorseses zwei Stunden-Hommage an die Rolling Stones allerdings vor allem eines: ein bisschen lang.
Dabei fängt es so gut an: Mit schnellen Schnitten und wunderbarer Dynamik zwischen den Hauptdarstellern Scorsese und Stones-Frontmann Jagger wird erzählt, wie die beiden Kontrollfreaks zusammen gefunden haben. Keiner will im Zeitplan weichen, sich in die Karten gucken lassen oder einen Kompromiss eingehen. Das ist unterhaltsam, verliert durch die Tatsache, dass sie es kamerawirkungsbewusst tun, jedoch an Charme.
Neu ist es nicht
Natürlich einigen sie sich dann doch, der legendäre US-Regisseur, der die Kinowelt mit "Taxi Driver" und "Wie ein wilder Stier" schöner gemacht hat, und die Rockmusiker, die vielen als Götter des Rock'n'Roll gelten. Doch passiert dann im Olymp nicht mehr viel, außer das, was man eh schon kennt: Scorsese findet schöne Bilder, und Jagger gibt die Rampensau. Da helfen auch ein paar Aufnahmen aus der Zeit, als die Stones noch Rebellen und nicht machtvolle Strippenzieher im Musikgeschäft waren, nicht weiter. Ja, Jagger sah damals hübscher aus, und ja, es ist lustig, Richards stoned oder was auch immer zu sehen. Aber neu oder erhellend ist es nicht.
Also was will Scorsese mit dem Film, der bei anderem Regisseur und anderer Band höchstwahrscheinlich ohne Umweg übers Kino sofort auf DVD gelandet wäre? Ein Grund ist wohl schlicht und ergreifend sein Dank: "Ohne sie wäre meine Arbeit undenkbar", verriet er gerade im Interview mit der "Zeit". Diese Musik sei der Brunnen, an den er immer wieder zurückkehre. "Wenn ich Jaggers Stimme hörte, die Akkorde von Keith Richards, dann sah ich Bilder in meinem Inneren. Ich sah Szenen vor mir, die ich Jahre oder Jahrzehnte später erst gedreht habe. Die Musik gab mir Energie. Und sie stillte meinen Zorn."
Bereit zum Klonen
Genau genommen hat Scorsese einer Band ein Denkmal gesetzt, von der viele Menschen annehmen, die Mitglieder seien bereits abgetreten, weil es schon so viele Denkmäler gibt. Die Stones sind eine Überband - und das seit Jahrzehnten. Seitdem er sie vor 47 Jahren im Konzert gesehen habe, wollte er diesen Film drehen, hat Scorsese anlässlich dessen Vorstellung auf der Berlinale im Februar gesagt. Sein Monstermachwerk mit 17 Kameras und drei Tagen Arbeit im New Yorker Beacon Theater dürfte mit dem damaligen Auftritt jedoch wenig zu tun haben.
Immerhin Jagger scheint es begriffen zu haben: "Es ging darum, diesen Moment, diese Nacht, in Bernstein zu gießen." In der Geschichte des Kinos lässt das die Fantasie zu, dass einst ein verrückter Millionär diesen Bernsteinbrocken finden und die Eingeschlossenen klonen wird. Also, liebe Rolling-Stones-Fans: Die Götter des Rock'n'Roll leben tatsächlich ewig.
"Shine a Light" kommt am 4. April in die Kinos, zeitgleich erscheint der Soundtrack