Es gibt etliche gute Gründe, dass der türkische Film "Takva - Gottesfurcht" jetzt in die deutschen Kinos kommt: Das Porträt eines streng gläubigen Muslims, der an den Widersprüchen zwischen religiöser Innenwelt und moderner Außenwelt zerbricht, ist hoch aktuell. In der Panorama-Reihe der Berlinale und beim Filmfestival in Antalya wurde das Drama ausgezeichnet. Aber vor allem ist "Takva" die zweite Oscar-Hoffnung des deutsch-türkischen Regisseurs Fatih Akin. Der von Akins Hamburger Firma Corazòn International produzierte Film in der Regie von Özer Kiziltan wurde von türkischer Seite zur Nominierung für den Oscar vorgeschlagen.
Akin mit Chancen auf zwei Oscar-Nominierungen
Als Produzent hat Akin zwar nur das Geld bei der deutschen Filmförderung dafür aufgetrieben, aber wenn "Takva" tatsächlich ins Rennen um den Oscar geht, wäre er als Produzent auf jeden Fall im Februar mit in Hollywood dabei. Und wenn es auch mit einer Nominierung für Akins deutsches Werk "Auf der anderen Seite" klappt, wäre der 34-Jährige der erste Mensch, der in einem Jahr mit zwei Filmen für zwei Länder Chancen auf einen "Auslands-Oscar" hat. Akins Kommentar: "Möge der Bessere gewinnen."
Ganz weit entfernt von so spekulativen Gedanken über Konkurrenz, Gewinn oder Verlust ist Muharrem (Erkan Can), die Hauptfigur in "Takva" - ein einfacher Mann, der sein Seelenheil im anspruchslosen Leben nach den jahrhundertealten Regeln einer muslimischen Sekte sucht. Sein Alltag bewegt sich zwischen Arbeit, Haushalt und Gebet. Einzig seine erotischen Träume bringen Muharrem in Gewissensnöte. Doch das hindert das Oberhaupt der Sekte nicht, den bescheidenen Gläubigen mit einer wichtigen Aufgabe zu betrauen.
Gottesfurcht trifft Realität
Muharrem soll die Immobilien der Sekte verwalten und Mieten eintreiben. Voller Angst, der Verantwortung nicht gewachsen zu sein, muss er sein enges Stadtviertel verlassen. Er wird konfrontiert mit dem ganz normalen Istanbul im 21. Jahrhundert: mit Schaufenstern voller Dessous, unverschleierten Frauen, mit bitterer Armut und offener Gier. Der Mann ist völlig überfordert von seiner eigenen Rolle im kleinen kapitalistischen System der Sekte, das von ihm komplizierte moralische Entscheidungen verlangt. Muharrem kommt selbst in Versuchung. Er verliert seine schlichte spirituelle Sicherheit und damit jeden Halt. Seine Seele zerbricht.
Großartig porträtiert Hauptdarsteller Erkan Can einen Mann, der zwischen alten Ritualen und einer nicht mehr dazu passenden Realität zerrieben wird. Doch sein innerer Konflikt explodiert nicht in Gewalt, sondern implodiert leise in individuellem Leid. Die Stärke von "Takva - Gottesfurcht" liegt dabei in der Distanz, mit der der Film die tiefe Gläubigkeit der Hauptfigur als unzeitgemäß schildert, ohne sie auch nur eine Sekunde lang zu verraten.