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"Der Goldene Handschuh" Maskenbildnerinnen erklären: So wurde aus Jonas Dassler der Frauenmörder Fritz Honka

Lisa Edelmann und Maike Heinlein
Lisa Edelmann und Maike Heinlein waren in Fatih Akins Film "Der Goldene Handschuh" für die Maske Jonas Dasslers zuständig, der den Frauenmörder Fritz Honka spielt. 
© stern.de
Fatih Akins "Der Goldene Handschuh" zeigt die Taten des Frauenmörders Fritz Honka, gespielt von Jonas Dassler. Die Maskenbildnerinnen Maike Heinlein und Lisa Edelmann haben den jungen Schauspieler in eine Bestie verwandelt. Im Interview erzählen sie, wie sie das geschafft haben.

Frau Heinlein, Frau Edelmann, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Maskenbildnerinnen zu werden?

Maike Heinlein: Ich habe als Teenager eine TV-Doku über diesen Beruf gesehen. Da war mir klar, dass ich Maskenbildnerin werden will. Ich fand den Beruf schon damals toll, weil er sehr gestalterisch ist.

Lisa Edelmann: Die Maskenbildnerei war für mich die perfekte Kombination aus handwerklicher und künstlerischer Arbeit, mit einem gewissen psychologischen Aspekt, der sich durch die Arbeit am Darsteller ergibt. 

Welche Ausbildung haben Sie absolviert?

Heinlein: In den frühen 90er Jahren gab es in Deutschland nur drei Schulen, an denen man Maskenbildnerin lernen konnte. Nach der Friseur-Lehre habe ich eine davon, nämlich die Hasso von Hugo Maskenbildnerschule in Berlin besucht.

Edelmann: Ich habe an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden Maskenbild studiert und mich danach durch Praktika weitergebildet.

Wie läuft der Einstieg in den Beruf als Maskenbildnerin – hat man einen Agenten?

Heinlein: Nein, darum kümmert man sich in der Regel selbst. Ich habe mir über die letzten 20 Jahre ein eigenes Netzwerk im Film, im Theater und der Werbung aufgebaut. Außerdem empfehlen wir uns natürlich als Kolleginnen.

Können Sie sich noch erinnern, was Ihr erster Film war, an dem Sie mitgewirkt haben?

Heinlein: Natürlich! Das war ein Rosamunde-Pilcher-Film. Das hat meiner Oma besonders gut gefallen. Sie hat immer gefragt, wann ich noch mal so einen Film mache.  Ich konnte ihr diesen Wunsch bisher nicht erfüllen.

 Wie sind Sie zum "Goldenen Handschuh" gekommen – hat die Produktionsfirma Sie engagiert oder Fatih Akin direkt?

Heinlein: Fatih hat mich direkt angerufen. "Der Goldene Handschuh" ist der vierte Film, den ich mit ihm gemacht habe. Vorher haben wir unter anderem schon in "Aus dem Nichts" zusammengearbeitet. Wir sind ein eingespieltes Team und kennen uns und unsere Arbeitsweise sehr genau. Ursprünglich waren wir zwei Maskenbildner. Erst Daniel Schröder und ich, Lisa kam dann als SFX-Expertin (Makeup Spezialeffekte) dazu. Und so ist unsere Abteilung immer mehr gewachsen, letztendlich wurden wir von zwölf Kolleginnen und Kollegen unterstützt.

Wie sah die Zusammenarbeit konkret aus? Haben Sie Vorschläge gemacht oder hat Ihnen Akin gesagt, wie er sich die Maske vorstellt?

Heinlein: Das Besondere an der Zusammenarbeit war, dass eine Art "Brainroom" zwischen Regie und Maske entstand. Das war vor allem deshalb wichtig, weil im deutschen Film noch nie zuvor ein solcher Maskenaufwand betrieben wurde. Fatih Akin war von "The Darkest Hour" inspiriert. Für den Film wurde Gary Oldman zu Winston Churchill verwandelt. Fatih hat – entgegen seines sonst sehr puren, ehrlichen und natürlichen Stils im Maskenbild – Daniel Schröder und mich gefragt, ob wir so etwas auch machen könnten. Und so haben wir uns quasi Schritt für Schritt herangewagt an dieses so besondere Projekt, immer im Austausch mit der Regie.

In dem Film sah der Schauspieler Gary Oldman dem britischen Premierminister Winston Churchill dank einer aufwendigen Maske täuschend ähnlich. 

Edelmann: Ja genau, eine ähnlich aufwendige Veränderung war auch die Aufgabenstellung den jungen Jonas Dassler zu Fritz Honka zu verwandeln. Wir mussten ein neues Gesicht kreieren – alles an Jonas' Gesicht außer Kinn, Koteletten und seinen Haaren wurde verändert. Da ich vorwiegend als Spezieleffekt-Maskenbildnerin arbeite, habe ich Erfahrung mit derartigen Veränderungen und bin vertraut mit dem aufwendigen Herstellungsprozess. So konnte ich Maikes Allroundtalente sinnvoll ergänzen.  

Was genau macht eine Spezialeffekt Maskenbildnerin?

Edelmann: Vereinfacht gesagt: Alles was über normales Makeup hinausgeht. In Jonas' Fall war das eine dreidimensionale Veränderung seines Gesichts durch extra für ihn angefertigte künstliche Gesichtsteile wie zum Beispiel Nase und Wangenteile. "Der Goldene Handschuh" ist in Deutschland maskenbildnerisch auch deshalb ein sehr besonderes Projekt, weil hierzulande bislang selten oder nur bedingt mit Spezialeffekt Maske gearbeitet wird.

Warum ist das so?

Edelmann: Vermutlich aus finanziellen Gründen. Es ist einfach ziemlich aufwendig und deshalb sehr teuer. Dadurch fehlt den Produktionen dann oft die Erfahrung damit. Eine gute Zusammenarbeit mit Licht- und Kameraabteilung ist extrem wichtig. Da hatten wir beim "Goldenen Handschuh" großes Glück. Die Maske für Jonas haben wir etwa zwei Monate vorbereitet und waren am Set mehrere Stunden pro Tag alleine mit Honka beschäftigt. In den USA ist ein solcher Aufwand gang und gäbe. Ich arbeite mittlerweile fast nur im Ausland, der Stellenwert einer Spezialeffekt Maske ist dort ein anderer und die Projekte sind oft aufwendiger. 

Haben Sie sich für die Maske Fiete Honkas an den realen Fotos des Massenmörders orientiert oder sind Sie da frei rangegangen?

Heinlein: Natürlich haben wir uns an dem echten Honka orientiert, es geht ja um ihn. Das für uns interessante war jedoch, dass die Maske gleichzeitig zum Gesicht von Jonas Dassler, dem Schauspieler, passen sollte. Jede Veränderung wurde von diversen Kameratests begleitet und zwischen Kamera, Regie und Maskenteam diskutiert. Da haben wir dann Fragen diskutiert wie: nach links oder rechts der Nasenknick, Nasenspitze länger oder kürzer, Aknehaut extremer oder mehr oder weniger Narben.

Wir sind ihm mit unseren Möglichkeiten so nah wie möglich gekommen.

Wie sind Sie konkret vorgegangen?

Heinlein: Wir haben zuerst einen Gesichtsabdruck von Jonas' Gesicht genommen. 

Auf dem daraus gegossenen Gipspositiv hat der Skulpteur Andrea Eusebi in Italien den ersten Entwurf des Honka Makeups modelliert. Das heißt, er hat die Nase, Schlupflider, Wangen- und Stirnpartie geliefert.

Edelmann: Die Nase hat insgesamt vier Veränderungen durchlaufen, bis die finale Form erarbeitet war – deformiert und mit der richtigen Oberflächenstruktur. Ähnliche Arbeitsprozesse haben Stirn- und Wangenteile durchlaufen. Sobald der finale Look feststand hat er auch die Negativformen gebaut, aus denen dann in Berlin bei “Twilight Creations” die rund 45 Masken-Sets gegossen wurden, die wir für diverse Tests und Drehtage gebraucht haben.

Wie läuft der Prozess dann weiter ab?

Edelmann: Wir haben die gegossenen Teile vorbemalt und dann waren sie fertig für den Einsatz. 

Aus welchem Material besteht die Maske?

Edelmann: Wir haben verschiedene Materialien verwendet, Nase und Wangen sind aber zum Beispiel aus Silikon. Insgesamt haben wir Jonas etwa 14 künstliche Teilchen ins Gesicht geklebt: Wangen, Nase, Stirnteil, Zornesfalte, Schläfenteilchen, zwei Teile für die Geheimratsecken, Tränensäcke, ein Schlupflid, zwei Augenbrauenteile, hergestellt von der Firma transferbrows. Abgesehen von diversen Pickeln, Narben und Hautveränderungen am ganzen Körper. Die Dentalarbeiten kamen über Georg Korpas.

Heinlein: Um die falschen Nägel anfertigen zu können, habe ich mich anhand von YouTube-Videos weitergebildet, das war sehr lustig und eine komplett andere Welt.

Die Augen waren vermutlich besonders aufwendig. Jonas Dassler schielt in dem Film.

Heinlein: Fatih wollte das unbedingt. Wir hatten Respekt vor der körperlichen Belastung, denn durch die Schiellinse konnte Jonas nur mit dem anderen Auge sehen. Das macht den Dreh zu einer besonderen Herausforderung.

Edelmann: Jonas Augen wurden bei der Firma Eyeworks in London vermessen. Er bekam dort spezielle farbige Linsen angefertigt, sowie eine extra große Kontaktlinse, die den Schiel-Effekt erzeugte. Die Betreuung von Linsen und Brille hat dann der Optometrist Ingo Anderle übernommen, der auch Jonas' Augen professionell untersuchen und versorgen konnte.

Das klingt nach einer aufwendigen Maske. Wie lange haben Sie morgens gebraucht, um aus Jonas Dassler den Massenmörder Honka zu machen?

Heinlein: Wir hatten insgesamt 2 Stunden und 45 Minuten Zeit – mit einer Pause. Das war ziemlich knapp bemessen.

Hat sich Jonas Dassler während dieser Zeit in die Bestie verwandelt oder erst hinterher?

Heinlein: Bestie würde ich jetzt nicht sagen, Honka mit seinen Facetten. Aber das fing meist nach der Pause an. Er wurde dann immer stiller, sein Atem veränderte sich und man merkte, dass er jetzt in seine Rolle schlüpft.

Wie oft haben Sie Dassler in der Maske gehabt?

Edelmann: Wir hatten 32 Drehtage mit Jonas, dazu kamen mehrere Maskentests.

Sie haben viel Zeit mit Jonas Dassler verbracht. Entstehen in der Maske Freundschaften, oder geht man nach Ende der Dreharbeiten getrennten Weges?

Heinlein: Mit Jonas ist über die intensive Vorbereitungs- und Drehzeit tatsächlich eine Art von Freundschaft entstanden. Der letzte Sommer war ja sehr warm und da bot sich gemeinsames Grillen oder Schwimmen gehen in der Vorbereitungszeit oder nach dem Dreh an. Auch jetzt treffen wir uns hin und wieder, gehen gemeinsam essen oder schauen uns seine Vorstellungen in Berlin an.

Lisa Edelmann: Das war schon eine sehr einzigartige und bereichernde Konstellation, für die wir sehr dankbar sind. Ein perfektes Team.

Werden Sie auch manchmal privat gebucht – zum Beispiel für Karneval oder Halloween?

Heinlein: Das passiert eigentlich nicht, und wenn, dann sind das eher Freundschaftsdienste. 

Edelmann: Ich bekomme ab und zu Anfragen von Privatpersonen, die eine “realistische Überziehmaske” als Typveränderung wollen. Die Leute haben wenig Vorstellungen davon, wie aufwendig eine solche Anfertigung ist und was sie dann am Ende auch kostet. Meist verläuft sich das dann im Sande.

Der Goldene Handschuh

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