Es fing an mit einer Standpauke: Die Akademie-Präsidenten und Show-Biz-Autoritäten Iris Berben und Bruno Ganz standen wie Säulen auf der Bühne und erklärten, dass wir in Zeiten von Verlust, Trauer und Unsicherheit leben. Dass Tragödien nun Teil unseres Alltags seien. An die Katastrophe in Japan wurde genauso erinnert wie an den Tod von Bernd Eichinger, der im vergangenen Jahr gerade mit dem Ehrenpreis fürs Lebenswerk ausgezeichnet worden war.
Und just als man sich fragte, warum man angesichts solch einer Realität eigentlich hier ist, in dieser Welt des schönen Scheins, der harten Deals und der Fluchtwege, sagte Ganz: "Wehren wir uns" - indem wir Stellung beziehen, indem wir genau hingucken, indem wir zusammenhalten. Indem wir in Frage stellen, was wir eigentlich tun und erkennen, wie gut es uns eigentlich geht, fügte Berben hinzu. Plötzlich waren alle im Raum Komplizen. Außer vielleicht der brathähnchenbraune Staatsminister Bernd Neumann, der von Fördergeldern sprach und sich über Kritiker beschwerte.
Jetzt schwebt sie wieder
Dann schwebte auch schon die in Tausende Pailletten eingenähte Barbara Schöneberger von der Decke herab, um die Verleihung des 61. Deutschen Filmpreises zu moderieren - "Hier bin ich wieder, Ihr feischgewordenes Restrisiko". Zum vierten Mal übrigens. Wie immer war ihr professionelles Gequassel mal zotig, mal geistreich, mal ein bisschen selbstverliebt und mal nicht ganz bei der Sache. Doch dann fing es an, und Schöneberger schrumpfte zu einem funkelnden Sternchen, das zwar ab und zu auf die Bühne fiel, aber nicht wirklich von Bedeutung war: Denn die wahre Bedeutung kam in den Saal. Und das war so verdammt ungewohnt wie emotional ergreifend.
Fast jeder der Gewinner nahm seinen Preis mit tiefer Dankbarkeit entgegen, immer wieder waren Tränen zu sehen. So als hätten die Akademie-Präsidenten mit ihrem Verweis auf die Realitäten einen Ton vorgegeben, der schon längst da war - ob nun Richy Müller, der als bester Nebendarsteller für "Poll" geehrt wurde, oder Beatriz Spekzini für ihre Nebenrolle in "Das Lied in mir". Sogar Wim Wenders' betulichen Dankes-Aphorismus waren in Ordnung. Er gewann mit "Pina" in der Kategorie bester Dokumentarfilm.
Die Einsamkeit des Künstlers
Da konnte sich Laudatorin Heike Makatsch nicht verkneifen festzustellen: "Ist so ne nette Stimmung hier, so emotional", bevor sie den "total platten" Schwestern Nesrin und Yasemin Samdereli für die Migrations-Komödie "Amlmanya - Willkommen in Deutschland" die Lola für das beste Drehbuch überreichte.
Die Faust aufs Auge eines übersättigten Publikums schließlich streckte die Cutterin von Tom Tykwers Lola-Favorit "Drei": Mathilde Bonnefoy. Sie wurde in der Kategorie Schnitt geehrt und bedankte sich, indem sie daran erinnerte, dass eine Ehrung wie diese "ein Moment des Herausgeholtwerdens aus der Einsamkeit des künstlerischen Tuns" sei. Schließlich würden sich Kreative immer wieder mit der Frage quälen: "Ist das, was wir tun, von Bedeutung?" Da an diesem Abend jeder im Saal zur eigenen, sonst gut versteckten Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit stand, fielen die Worte auf fruchtbaren Boden. Schöneberger blitzte nur kurz dazwischen ("In jedem engen Kleid steckt eine Frau, die raus möchte.").
Dann begann der Siegeslauf des Außenseiters: Das Historiendrama "Poll" gewann vier Lolas (männliche Nebenrolle, Kamera, Szenenbild, Kostüme). Der große Favorit "Drei" bekam passende drei (Regie, weibliche Hauptrolle, Schnitt). Tykwer war sichtlich ein bisschen enttäuscht, als die Lola für den besten Film schließlich an "Vincent will Meer" ging.
Bei der Vorstellung der Nominierten für die Königsdisziplin fand Schöneberger übrigens die perfekte Zusammenfassung für Andres Veiels RAF-Drama "Wer, wenn nicht wir", der die silberne Lola gewann: "Junge Menschen mit seltsamen Frisuren haben viel Sex und werden Terroristen". Die bronzene Lola ging an "Almanya".
Rückkehr der Demut
"Es lohnt sich, an etwas zu glauben", presste "Vincent will Meer"-Produzentin Viola Jäger hervor. Da weinten auch Drehbuchautor und Hauptdarsteller Florian David Fitz und seine Schauspielkollegin Karoline Herfurth.
Und als sei das nicht genug an Bedeutung, wurde auch noch ein neuer Preis angekündigt: Ab dem kommenden Jahr soll alle drei Jahre der Bernd-Eichinger-Preis vergeben werden - undotiert, für mutige, progressive Projekte und Filmschaffende. Mal sehen, ob die Bedeutung so lange bleibt.
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