Jamal Malik kommt aus den indischen Slums. Er hat ein freundliches, offenes Gesicht - Typ Philipp Lahm. Er gewinnt in der indischen Ausgabe von "Wer wird Millionär?" den Hauptgewinn von 20 Millionen Rupien. Dabei geht es ihm nicht um das Geld, sondern es geht ihm um Liebe. Um die einzige, echte, wahre und große Liebe.
Der junge Mann hat die bizarrsten Grausamkeiten der indischen Gesellschaft kennengelernt, und er ist dem Tod mehr als einmal nur knapp entronnen. Trotz ergreifender Schicksale und Bilder wirkt "Slumdog Millionaire" nie fiktiv, nie aufgesetzt, sondern er befeuert die ewige Sehnsucht nach Liebe und Gerechtigkeit in einer - wie Jamal buchstäblich am eigenen Körper erfährt - absolut beschissenen Welt. Vom eklig fiesen Bruder über falsche Freunde bis zum schmierigen Show-Moderator wollen ihn alle nur betrügen, und so wird er, der Ehrliche, der Gute, der noch staunen und lieben kann, zum Außenseiter und Exoten.
Eines hat der junge Mann mit den meisten Millionengewinnern in meiner Sendung gemeinsam: Auch sie spielen am Ende, sie sichern sich nicht mehr ab. Sie sagen sich: Heute ist meine Nacht, und ich riskiere alles. Sein Spiel-, nicht sein Erwerbstrieb hat den ersten Millionengewinner, Professor Freise, am Ende triumphieren lassen. Ein bayerischer Philosophiestudent war gelassen, nachdem er ein Klavier gewonnen hatte, die Million war dann nur noch die Zugabe. Und es gab eine Frau, eine arbeitslose gelernte Bürokauffrau aus Gottmadingen, die scheinbar ebenso chancenlos startete wie Jamal Malik. Sie erzählte von den Schmähungen als Arbeitslose, wie alle Freunde und Ex-Kollegen auf sie herabblickten und sich immer mehr zurückzogen. Aber sie wollte es deshalb erst recht allen zeigen. Auch ihr Gewinn war Schicksal. Sie wusste die absurdesten Einzelheiten, und wo Verstand oder Erinnerung nicht zum Zuge kamen, riet sie sich zur Million. Der Jubel, als sie es geschafft hatte, der klang so ähnlich wie bei diesen bollywoodhaften Schicksalsthrillern.
Lebenserfahrung und Glück
Auch in Deutschland hielten damals mehr als zehn Millionen Zuschauer den Atem an, um zu sehen, ob eine arbeitslose Hausfrau die Sensation schaffen kann. Aber was ist die Sensation? Wenn Kandidaten jenseits ihres Schulwissens und oft auch bar dessen, was einfach mit Allgemeinbildung umschrieben wird, Frage um Frage richtig beantworten? Wie sie das machen? Oft mit Lebenserfahrung, nur manchmal mit Glück, gelegentlich durch bloßes Raten.
"Warum lieben alle diese Sendung?", wird in "Slumdog Millionaire" gefragt. "Es ist eine Chance zu entkommen", ist die Antwort. Das glauben Tausende, die mir inzwischen gegenüber gesessen haben. Endlich ein neues, anderes Leben beginnen - mit dem Traum kommen viele. Und am Ende bleibt oft nur das schnell rückzahlbare Bafög oder der neue Wintergarten.
Jamal Malik wird vom Bettler zum König. Aber es ist nicht das Geld, das diesen Jungen reich macht, sondern sein Prinzip, zu überleben und sich selbst auch in finsteren Momenten treu zu bleiben. Ein grausig-schöner Film über das Leben und die Liebe und den Reichtum jenseits des Geldes.