Was für Laborratten gilt, gilt auch für Kinobesucher. Einen Stoff, der gute Laune macht, muss man in immer höheren Dosen verabreichen, sonst lässt die Wirkung nach. So kann man sich zumindest die Entwicklung im Horrorfilm erklären: mehr Tote, mehr Blut, mehr Fantasie bei den Tötungsarten. Die letzten Genre-Bestmarken setzten Horrorfilme wie "Saw" (2004) und "Hostel" (2006), deren reine Freude am Massaker den Begriff des "Folterpornos" geprägt hat. Und die waren so erfolgreich, dass sie in Serie gingen. Doch scheint selbst der Ekel ein Verfallsdatum zu haben.
"Saw" ist mittlerweile bei Teil sechs angekommen. Teil fünf war im Januar in die Kinos gekommen. Der zynische Psychopath Jigsaw ist zwar mittlerweile tot, das hielt die Macher aber nicht davon ab, weiterhin hilflose Opfer in abstruse Apparaturen zu stecken, die zur Selbstverstümmlung zwingen. In der "Saw"-Reihe werden die Opfer so gradlinig gemetzelt, dass dem Zuschauer keine Zeit bleibt, Sympathien aufzubauen oder sich zu identifizieren. Hier geht es nicht ums Mitleiden, sondern ums Mitfoltern, wenn - ganz aktuell - diesmal Kreditvermittler und Mitarbeiter einer Krankenversicherung für Gewaltfantasien Körperteile und Leben geben müssen.
Ist Ekeln out?
Das ging lange Zeit gut. In Bestzeiten haben die "Saw"-Filme allein in den USA 87 Millionen Dollar eingespielt. Die 50 Millionen wurden immer geknackt. Doch mit "Saw VI" scheint die blutige Glückssträhne vorbei. Gerade mal 26 Millionen brachte der Film ein, weniger als die Vorgänger am Startwochenende.
Ganz ähnlich erging es "Hostel 2". Während der erste Teil dieses ultimativen Folterpornos noch 47 Millionen einspielte - bei einem Budget von knapp fünf Millionen Dollar ein satter Gewinn -, waren es nur noch 18 Millionen Dollar für Teil zwei. Und diesmal hatte die Schlachtplatte zehn Millionen Dollar gekostet. Deshalb wird Teil drei gleich auf DVD erscheinen. Ist Ekeln also out. Hat sich die Kakerlakenfresserei im Dschungel genauso überlebt wie das Folterspektakel im Keller? Läuft möglicherweise der nachrichtliche Horror in Zeiten von Abu Ghuraib und Tod auf U-Bahnhof dem fiktionalen Horror den Rang ab? Die Branche ist gut beraten, neuen Arten nachzuspüren, den Horror zu erzählen. Eine davon hat den Amateurfilm "Paranormal Activity" gerade zur profitabelsten Independentfilm-Produktion aller Zeiten gemacht.
Was man nicht sieht, kostet nichts
Die No-Budget-Produktion, die der Schulabbrecher und Programmierer Oren Peli für ein paar Tausend Dollar im eigenen Schlafzimmer drehte, ist vor allem ein Überraschungserfolg, weil der Film auf den auserzählten Horror verzichtet. Ein nettes Pärchen lebt in einem netten Haus im netten Kalifornien. Weil die Frau meint, von einem Dämon verfolgt zu werden, stellt ihr Freund Kameras auf. Deren verwackelte Bilder und Atmosphäre passen so gar nicht zur präzisen Kameraführung und Gliedmaßenchirurgie der "Saw"-Schocker. Weder Blut noch Gewalt gibt es zu sehen. Dafür Vermutungen, Andeutungen und jede Mange Raum für Spekulationen.
Das Böse bleibt undeutlich, zeigt sich nur in offen stehenden Fenstern, quietschenden Türen und unheimlichen Fußspuren. Der Ekel vor großzügig verteilten Innereien wird durch ein fast wohliges Nachtwanderungsgruseln ersetzt. Angst entsteht bekanntlich im Kopf. Da ist der Fluchtreflex auf verstörende Geräusche im Dunkeln unausrottbar einprogrammiert. Die "Blair Witch Project"-Sprößlinge "Cloverfield", "Open Water" und "Paranormal Activity" wissen das und drücken die richtigen Knöpfe.
Die "Saw"-Reihe soll aber übrigens trotzdem im Jahresrhythmus fortgesetzt werden. "Saw VII" gibt es zudem in 3D.