Zwölf Oscar-Nominierungen gehen dieses Jahr an den Film "The Power of the Dog", aktuell zu sehen bei Netflix. Darunter in der Kategorie "bester Hauptdarsteller" für Benedict Cumberbatch, für Jane Campion als "beste Regie" und als das "beste adaptierte Drehbuch". Der Film basiert auf dem Roman "Die Gewalt der Hunde" von Thomas Savage aus dem Jahr 1967.
Die Handlung spielt in den 1920er Jahren im ländlichen Montana auf einer Ranch. Es geht um die beiden Brüder Phil und George Burbank. Im Buch werden sie im ersten Kapitel so beschrieben: "George war ein stämmiger, humorloser und honoriger Mensch, und Phil brachte ihn gern auf die Palme. Herrgott, Phil brachte jeden gern auf die Palme!"
"The Power of the Dog": Western in den 1920er Jahren
Als die beiden Brüder in einem Gasthaus einkehren, lernen sie die Besitzerin und Witwe Rose Gordon, gespielt von Kirsten Dunst, kennen. Ihr Sohn Peter hilft dort als Kellner aus, wird aber von Phil gedemütigt und als feminin verspottet. George und Rose heiraten trotzdem wenig später. Phil ist darüber schockiert und wütend und unterstellt Rose, dass sie es nur auf den Wohlstand der Brüder abgesehen hat.

Von nun an ist Rose ständigen Schikanen und Psycho-Spielchen von Phil ausgesetzt. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum Rose sich das gefallen lässt und warum sie ihre Unabhängigkeit aufgibt, in einer Szene sieht man sie sogar Auto fahren. Nach der Hochzeit zieht sie auf die Ranch und hat somit auch keine Möglichkeit mehr, Phil zu entkommen.
Bei einer Dinnerparty möchte George seine Frau in die Gesellschaft einführen. Der Gouverneur soll auch kommen. Rose soll an diesem Abend Klavier spielen, George kauft extra eines für sie. An den Tagen vor dem großen Abendessen übt sie immer wieder und wird dabei von Phil gedemütigt. Im Buch wird das – wieder einmal – besser beschrieben als im Film: "Auch das Banjo verstummte. Vorsichtig spielte sie weiter. Wieder das Banjo. Sie brach ab, das Banjo brach ab. Plötzlich verspürte sie ein Kribbeln im Nacken. Er spielte genau dasselbe wie sie – bloß besser. Phil konnte keine Noten lesen."

Rose lässt sich von Phil so sehr unter Druck setzen, dass sie bei der Dinnerparty keinen Ton mehr spielen kann. Als dieser viel zu spät und ungewaschen zum Essen erscheint, erzählt er auch noch allen Anwesenden, wie viel sie für den Abend eigentlich geübt hatte. Das setzt ihr so sehr zu, dass sie danach und ganz allein ein Glas Alkohol trinkt, das hat sie vorher nie getan. Es ist der Beginn einer Alkoholabhängigkeit, in einer Einstellung sieht man, wie sie eine Alkoholflasche unter dem Kopfkissen liegen hat.
Phil pfeift nun immer wieder das Lied, das sie nicht spielen konnte. Bald werden ihre Auftritte in Szenen nur noch von dissonanter, nahezu schriller Musik begleitet. Ihre Situation wird noch dadurch verschlechtert, dass ihr Sohn Peter sich zunehmend besser mit Phil versteht. In einer Szene sagt Peter zu ihr: Wie weit käme ein Mann, der immer auf seine Mutter hört?

Eigentlich soll es in dem Western um Phil gehen, der seine Homosexualität versteckt und stattdessen einen harten Rancher mimen muss und sich durch seine toxische Männlichkeit hervortut. Da man ihn als Hauptfigur aber keineswegs sympathisch findet, fällt es von Beginn an schwer, ihm und der Handlung zu folgen. Auch werden viele, teilweise wichtige Handlungen nur kurz angedeutet und nicht weiter erklärt. Wer vor Beginn des Films nicht das Buch oder wenigstens eine grobe Zusammenfassung gelesen hat, wird Schwierigkeiten haben, der Handlung zu folgen.
Es ist ein wenig unglaubwürdig, dass sich Rose von Phil so schikanieren lässt. So hat sie doch nach dem Selbstmord ihres Mannes John Gordon das Gasthaus weitergeführt und ihren Sohn allein aufgezogen. Solch eine Lebensgeschichte und dass sie nicht aufgegeben hat, zeugen eigentlich von einem starken Willen und Mut. Und warum sie sich von Phil so demütigen lässt, ist nicht nachvollziehbar. Er hat nichts in der Hand gegen sie, er kann sie mit nichts erpressen.
Spannende Teile aus dem Buch fehlen
Auch wurde der eigentlich spannende Plot gar nicht aus dem Buch adaptiert. Roses verstorbener Mann John "Johnny" Gordon hat sich nämlich nach einer Prügelei mit Phil das Leben genommen. Rose wusste davon aber gar nichts, sonst hätte sie sich nie mit einem Burbank eingelassen. Phil hingegen muss es gewusst haben. Im Buch liest es sich so: "Hätte ihr Johnny Gordon erzählt, wer ihm das Hemd zerrissen und ihn wie einen nassen Sack gegen die Wand geschleudert hatte, hätte Rose George Burbank nicht akzeptiert. Aber Johnny hatte es nicht gesagt."
Als Zuschauerin ist es enttäuschend, dass der einzige weibliche Hauptcharakter in dieser Weise dargestellt wird. Natürlich ist es realistisch, dass Frauen Anfang des letzten Jahrhunderts eine gesellschaftliche Rolle zugewiesen wurde, die dem Mann untergeordnet war. Doch es ist mehr als problematisch, wenn Filmemachende diese gesellschaftlichen Missstände einfach unreflektiert in die Moderne übertragen.

Vielmehr hätte der Film Anlass für eine kritische Auseinandersetzung dafür geboten, die er leider ungenutzt verstreichen lässt. Mit zwölf Oscar-Nominierungen setzt die Jury ein Statement. Die nominierten Filme sind auch immer eine Auswahl der vermeintlich besten und herausragenden Darstellungen des vergangenen Jahres. Dass ein so streitbarer und in der Zeit stehengebliebener Film dazugehört, kann durchaus als unangebracht bezeichnet werden. Zumindest als Anhänger der Gleichberechtigung sollte man diesen Film meiden, da man sich sonst nur unnötig aufregen würde. Sollte man doch nicht widerstehen können, lautet die Empfehlung: Statt Popcorn sollte man den Film mit einer großen Tasse, ach am besten einer Kanne, Beruhigungstee schauen.