In Zeiten, da die Gier nach Aufmerksamkeit die Gier nach Geld überflügelt, herrscht Krieg an der Unterhaltungsfront. Weil es immer schwieriger wird, das Meer der Informationsflut zu teilen, um zum potenziellen Konsumenten, Fan oder Zuschauer durchzudringen, werden die Werbeaktionen um das knappe Gut der öffentlichen Anteilnahme zunehmend krawallig. Ein Busenblitzer à la Verona Pooth ist heutzutage kaum mehr als ein netter Versuch.
Verlässliche Helfer im Geschäft mit dem großen Auftritt sind Sex und Gewalt. Die erzeugten Gefühle - vor allem Lust und Angst - sind das Tor in die Aufmerksamkeitsarena. Das weiß jeder Marketing-Praktikant. Und auch Rammstein: Nach vier Jahren Pause präsentiert die Rockband das Stück "Pussy" und setzt auf die PR-Wucht eines Hardcore-Pornovideos, das durch einen Klick auf den heuchlerischen "Ich bestätige, volljährig zu sein"-Button für jedermann im Netz zugänglich ist. Computertechnik macht möglich, dass die Band in allen Positionen bis zum Cumshot durchhält.
Gewalt statt Sex haben sich die Regisseure des deutschen Films "Short Cut to Hollywood" als Brechstange in die Köpfe der Menschen ausgesucht: Am Morgen des 10. September gingen Anrufe bei deutschen Medien ein, in denen ein Mann behauptete, dass es in einer amerikanischen Stadt namens Bluewater einen Terroranschlag gegeben habe. Araber mit Bombengürteln hätten ein Restaurant überfallen. Und das einen Tag vor dem Jahrestag der Anschläge des 11. September. Im Internet fanden sich bestätigende Videos, Internet-Seiten und Wikipedia-Einträge. Allerdings war alles erfunden. Kurzum: Medien, die darüber berichteten, waren auf eine ausgefeilte, gut organisierte PR-Aktion hereingefallen.
Aber kaufen wir deshalb jetzt alle Rammstein-CDs und "Short Cut to Hollywood"-Kinokarten? Ist es wirklich so einfach, sind wir so leicht zu kriegen?
Geiz war geil
Nachfrage bei den Werbeprofis von Jung von Matt, die einst den umstrittenen Werbespruch "Geiz ist geil" erfanden und in deren Credo es heißt, das Ziel guter Werbung sei die Eroberung. Nein, so einfach sei es nicht, und ja, die Werbung habe Grenzen, sagt Jung-von-Matt-Geschäftsführerin Dörte Spengler-Ahrens entschieden. Aufmerksamkeit allein reicht nämlich nicht.
"Vielleicht gibt es in der Rammstein-Fanzielgruppe einen kleinen Prozentsatz, der diese erneute Provokation goutiert. Aber damit wird die Band sicherlich nicht ihr Fanspektrum erweitern", sagt Spengler-Ahrens. Es gebe nämlich einen "Geschmack der Zeit, eine unsichtbare Linie, die man nicht überschreiten sollte". Das sei hier jedoch geschehen, "zudem auf plumpe Art und Weise. Das geht nicht auf. Der Zuschauer hat eine sehr feine Antenne dafür, wann es nur um plumpes Heischen nach Aufmerksamkeit geht und wann um mehr". Überschätzen Rammsteins Marketingstrategen also die Sensationsgier des Publikums? Die Verkaufszahlen werden es zeigen.
"Flatterhaft und pervers"
Auch der "Bluewater"-Skandal war Gesprächsthema. Zweck erfüllt, könnte man meinen. Aber die Werberin schüttelt erneut den Kopf: Es sei zwar ein Lehrstück für die Medien, aber keine gelungene Werbung. "Die Aktion spielt mit Angst und mit Mitleid. Wenn jemand um Hilfe ruft, ist man geschockt und bemüht sich. Wenn sich das als Scherz herausstellt, ist man nicht nur in seiner Wahrnehmung getäuscht worden, sondern in seinen Gefühlen enttäuscht", sagt Spengler-Ahrens. "Das berührt einen viel tiefer. Das verzeiht man dem Absender nicht." Werbung stoße an ihre Grenzen, wenn die Gefühle der Menschen getäuscht werden, so die Jung-von-Matt-Geschäftsführerin. "Aufmerksamkeit hat der Film sicher erregt, aber das Kommunikationsziel, positiv für einen Film zu werben, wurde nicht erreicht."
Also auch Daumen runter für die Regisseure Marcus Mittermeier und Jan Henrik Stahlberg und zudem eine Absage an den alten Spruch: "Jede Werbung ist gute Werbung", der von dem Zirkusmann und Schausteller P.T. Barnum stammen soll, der im 19. Jahrhundert unter anderem mit "menschlichen Sensationen" durch Amerika tingelte. Von ihm stammt allerdings auch der Satz: "Das Publikum ist ein seltsames Tier, flatterhaft und oftmals pervers."
Was bleibt von solchen PR-Aktionen außer das ungute Gefühl, dass bald wieder jemand um die Ecke kommen wird, der die Provokation noch weiter treibt? Die Gewissheit, dass Sie sich gerade fragen, warum eigentlich alle über die PR-Aktionen reden, aber nicht über das, was beworben wurde. Die Antwort ist einfach: Offensichtlich ist der Inhalt allein nicht der Rede wert.