Noch vor Tschernobyl und Fukushima gab es ein Reaktorunglück, das weitreichende Folgen haben sollte. Und doch kennen es nur wenige: Pennsylvania, USA, 28. März 1979, nachts: Im Kraftwerk Three Mile Islands in der Nähe von Harrisburg schmolzen Teile eines Reaktorkerns. Radioaktiver Dampf und Wasser konnten nach außen entweichen. Der Reaktor war zu der Zeit erst wenige Monate in Betrieb. Doch in Block 2 des Kernkraftwerks fielen zwei Pumpen aus. In den Stunden nach dem Unfall sorgten sowohl menschliches als auch technisches Versagen für ein verheerendes Unglück:
Neu auf Netflix: Doku über Three Mile Island
Kühlwasser entwich unbemerkt und die Temperatur im Inneren des Reaktors stieg so dramatisch an, dass sich die Brennstäbe erhitzten und es zu einer teilweisen Kernschmelze kam. Gase, die radioaktiv verseucht waren, gelangten in die Luft und kontaminiertes Wasser in den nahegelegenen Fluss. Erst fünf Tage später konnte das Kühlsystem repariert und der Reaktor verschlossen werden.
Erst zwei Tage nach dem Vorfall wurden Schwangere und kleine Kinder aus der näheren Umgebung des Kraftwerks evakuiert. Geschätzte 140.000 bis 200.000 Menschen waren betroffen und musste zumindest zeitweise ihre Heimat verlassen. "Kernschmelze: Der Unfall von Three Mile Island" ist die neue Dokumentation auf Netflix und widmet sich diesem kaum beachteten Atomunglück. Regisseur Kief Davidson lässt dabei nicht nur Betroffene von damals zu Wort kommen, die erzählen, wie sie sich die Radioaktivität unter Dusche abwaschen wollten, sondern auch Ingenieure.
Geht es am Anfang der vierteiligen Doku-Serie vor allem um den Vorfall selbst und seine unmittelbaren Folgen, rückt im weiteren Verlauf von "Kernschmelze" Rick Parks, ein Ingenieur des Ingenieurbüros Bechtel, in den Vordergrund. Er beschreibt in erschreckenden Details, wie die Aufräumarbeiten aus Kosten- und Zeitgründen so schlampig durchgeführt wurden, dass die Gefahr bestand, dass die Luft und das Land um Three Mile Island weiter verstrahlt wurden. (Die Anekdote über den Einsatz von Klebeband bei den Aufräumarbeiten muss man gehört haben, um sie glauben zu können). Parks und andere übten massive Kritik an der Informationspolitik der zuständigen US-Behörden.
"Kernschmelze" ist eine informative Zusammenstellung von Interviews, die ein weiteres Mal die Risiken der Kernenergie aufzeigt. Dabei wirkt sie zu keiner Zeit belehrend, was sie zu einem sehenswerten Format werden lässt. Denn: Technisch gesehen ist Three Mile Island auch heute noch radioaktiv, aber die Strahlungswerte gelten nach Angaben der US-Nuclear Regulatory Commission (NRC) nicht als gefährlich für Mensch und Natur. Obwohl, wie in der Doku zu sehen ist, dies von Anwohnern und ehemaligen Mitarbeitern des Kraftwerks bestritten wird, die bis heute von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Unfall berichten.