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Toronto Film Festival Wenig Festival, viel Film

Es ist nicht Cannes, nicht Berlin, nicht Venedig, doch das Toronto Film Festival hat sich zur größten Veranstaltung auf dem amerikanischen Kontinent gemausert. Hier geht es noch wirklich um Filme. Doch der Spagat zwischen Anspruch und Glamour könnte in Zukunft schwieriger werden.
Von Bernd Teichmann, Toronto

Die erste Überraschung schon beim Verlassen des Flughafens: 32 Grad, ganz schön heiß hier. Die nächste Überraschung… fällt aus. Es gibt keine. Die wenigen deutschen Kollegen, die schon einmal beim Toronto International Film Festival waren, hatten ohne Ausnahme davon geschwärmt. Über die exzellente Organisation, die ausnahmslos netten Leute, die Unaufgeregtheit, mit der das Ganze über die Bühne geht. Und natürlich die vielen, vielen guten Filme. Sie hatten Recht. Diese Veranstaltung, diese Stadt fühlt sich gut an.

Um das festzustellen, reichte schon die Viertelstunde für das Abholen der Akkreditierung im Sutton Place Hotel, Sitz des Pressezentrums. Keine Taschenkontrollen, kein langes Warten, kein uniformiertes Personal und weit und breit kein Polizist. Im Mittelpunkt dieses Festivals steht nicht das Festival, sondern die Filme, die es zeigt.

In der letzten Dekade hat das Toronto Film Festival rasant an Bedeutung gewonnen

Da Sie an dieser Stelle ja Unterhaltsames von der Berlinale, aus Cannes und Venedig gewohnt sind, zunächst ein kleiner Crash-Kurs in Sachen "tiff", wie die Profis es nennen: Gegründet wurde es 1976 mit dem Anspruch, dem Publikum ein Festival der Festivals zu bieten, also die Essenz dessen, was die Konkurrenz in einem Jahr so über die Leinwände flimmern ließ. Was mit 140 Produktionen aus 30 Ländern begann, ist mitterweile zur größten Veranstaltung dieser Art auf dem amerikanischen Kontinent herangewachsen. Die 32. Auflage notiert 349 Filme aus 55 Nationen, und wie immer gibt es keinen Wettbewerb, keine Goldenen Palmen, Löwen, Eichhörnchen, Wandteller oder sonst was. Ergo auch keine sperrigen Regularien, Kungeleien oder beleidigte Gesichter.

Vor allem in der letzten Dekade hat das Toronto Film Festival rasant an Bedeutung gewonnen - viele aus der Branche verorten es gar über Venedig, dessen Hauptattraktionen meist auch hier laufen. Da im September die sogenannte "Award Season" beginnt, jene Monate, in denen die Studios ausgiebig ihre Premium-Produkte bewerben, schickt Hollywood so gut wie alles, was auszeichnungsverdächtig erscheint, ans Nordwest-Ufer des Ontario Sees. Während diese Rechnung regelmäßig aufgeht - sogar für ausländische Produktionen wie "Das Leben der Anderen", der via Toronto einen maßgeblichen Bekanntheitsschub erfuhr - wittern zahlreiche Kritiker schon seit einigen Jahren eine schleichende Karnevalisierung.

Balance halten zwischen Low-Budget und Glamour

"Wenn Du einen Low-Budget-Film aus Südkorea hast, vielleicht sogar noch von einem Debütanten gedreht", so der unabhängige Produzent Kevin Tierney, "läufst Du Gefahr, damit in dem ganzen Rummel, der um die Stars gemacht wird, verloren zu gehen." Darin liegt der Fluch, wenn ein Festival wächst. Das tut es nur, wenn auch Stars kommen, die den für die Aufmerksamkeit nötigen Glamour mitbringen. Und wenn sie kommen, drohen sie die kleinen Produktionen, für die solche Festivals ja da sind, beiseite zu walzen. Da die Balance zu halten, dürfte gerade für Toronto, das sich nach wie vor als Festival für die Filmemacher sieht, die Herausforderung für die Zukunft sein.

Getreu dem Motto des legendären Regisseurs Samuel Fuller, wonach ein guter Film mit einer Explosion beginnen sollte, um sich dann langsam zu steigern, stopften die Programmierer gleich die ersten beiden Tage voll mit hochkarätigem Oscar-Material. Neben Ang Lees ("Brokeback Mountain") elegisch-erotischem Verführungs-Drama "Lust, Caution", stachen vor allem Produktionen hervor, die direkt oder indirekt die tiefe Verunsicherung Amerikas in Zeiten des Terrors und des Irak-Krieges widerspiegeln. Und ein Déjà Vu der Siebziger Jahre heraufbeschwören, als das US-Kino vehement gegen den Vietnam-Albtraum und Watergate anfilmte.

Filmfestivals fordern stets denselben Tribut: die totale Erschöpfung

Da demontiert der Australier Andrew Dominik in "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" den Mythos eines Western-Outlaws (gespielt von Brad Pitt), wie es einst Sam Peckinpah ("Pat Garrett & Billy the Kid") tat. Jodie Foster wandelt in Neil Jordans "The Brave One" auf den Spuren des rot sehenden Charles Bronson und übt Selbstjustiz an den Totschlägern ihres Verlobten. Und gleich zwei Helden, der von George Clooney verkörperte Anwalt im Justiz-Thriller "Michael Clayton" und ein CIA-Mann (Jake Gyllenhaal), der in "Rendition" ein unschuldiges, ägyptisches Folter-Opfer aus den Fängen seiner eigenen Organisation befreit, wirken wie Verwandte des Geheimdienstlers, den Robert Redford 1975 in "Die drei Tage des Condor" mimte. Männer, die zu Hoffnungsträgern werden, weil sie anfangen, sich dem maroden System, dem sie angehören, zu widersetzen.

Ein anderes System indes, das von Filmfestivals nämlich, fordert Orts- und Charme-unabhängig stets denselben Tribut von seinen Teilnehmern: die totale Erschöpfung bei, im Idealfall, höchsten Glücksgefühlen. Die Kollegin der Torontoer Tageszeitung "The Globe and Mail" befindet sich da offenbar noch in der Lernphase: "Wenn es etwas gibt, was ich in den letzten turbogeladenen 24 Stunden gelernt habe, ist es das, dass jeder der mit dem Toronto Festival zu tun hat, eine Menge Energie braucht, um das Massaker von Events, Interviews und Dauer-Action zu überstehen". Willkommen im Club. Sind ja nur noch acht Tage...

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