Dirk Labudde gilt als Mann für die besonders schwierigen Fälle. Er werde immer dann beauftragt, "wenn Ermittler mit klassischen Methoden der Spurenauswertung nicht weiterkommen", heißt es auf dem Rücken seines Fachbuches "Digitale Forensik: Die Zukunft des Verbrechensaufklärung". Darin berichtet Labudde über seine Methoden.
Methoden, die auch im Fall Gil Ofarim zum Einsatz kamen.
Ofarim hatte behauptet, im Westin Hotel Leipzig antisemitisch diskriminiert worden zu sein. Ein Hotelmitarbeiter habe ihn im Oktober 2021 beim Einchecken aufgefordert, die Kette mit dem Davidstern abzunehmen. Eine Lüge, wie spätestens seit gestern alle wissen. Labudde, so scheint es, wusste es schon länger.
150 Seiten Gutachten hat er zu dem Fall geschrieben, wie der "Focus" berichtet. Die Videos aus der Überwachungskamera, die den Bereich der Hotellobby zeigen, sichtete Labudde etliche Male.
Labudde stellte die Szene mit Statisten nach
Labudde, 57, studierte Theoretische Physik und Medizin. Er gilt als Experte auf dem Gebiet der modernen Ermittlungsverfahren, gründete sogar einen eigenen Studiengang mit dem Namen "Digitale Forensik" an der Hochschule Mittweida. Dort hält er Vorlesungen zu den Themen Bildverarbeitung, Datenrekonstruktion, IT-Sicherheit und Verschlüsselungstechnik.

Labudde kann etwas, das nicht viele in seinem Bereich können: In aufwendigen 3D-Modellen rekonstruiert er Tatorte, simuliert Tathergänge, schafft digitale Abbilder von mutmaßlichen Opfern und Tätern. Labudde sieht, was andere nicht sehen. Man könnte auch sagen: Er macht es sichtbar. Auch deshalb wurde er im Prozess um Ofarim zum wichtigsten Beweisführer der Anklage.
Labudde hat den Fall bis ins Detail auseinander genommen und die drängendste Frage der Ermittler beantwortet, nämlich die, ob Ofarim wirklich gut sichtbar die Davidstern-Kette trug an jenem 4. Oktober 2021. Dafür habe er "die Videos zunächst in einzelne Bilder zerlegt und deren Qualität mit klassischen Bildbearbeitungstechniken sowie Künstlicher Intelligenz verbessert", wie Labudde berichtete. Ofarims Kette hatte er gleichwohl nicht finden können, dafür aber andere Details, etwa eine Holzkette und sogar die einzelnen Nieten auf Ofarims Lederjacke.
In einem zweiten Schritt ließ der Forensiker den Vorfall mit Statisten im besagten Hotel nachspielen. Ofarim gab dafür sogar seine Kette mit dem Davidstern her, nicht ahnend, dass er damit der eigenen Erzählung die Grundlage entziehen würde. Denn mit einem Mal war beim Nachstellen ein Unterschied zu sehen, eine deutliche Reflexion der Kette. Bedeuten musste das demnach, dass die Kette während des eigentlichen Vorfalls 2021 nicht zu sehen gewesen sein konnte.
Ein Nimmermüder, einer, der nie aufgibt
Ein Ermittlungserfolg, den Labudde im Gerichtssaal aber nicht triumphierend vorführte. Sachlich und konzentriert trat er dort auf. Sprach nur selten, aber wenn er sprach, war ihm die Aufmerksamkeit aller gewiss.
Dabei ist Gil Ofarim mitnichten der erste, den Labudde überführt hat. Beim Raub der wertvollen Goldmünze "Big Maple Leaf" im Berliner Bode-Museum war seine Expertise genauso gefragt wie beim Einbruch im Grünen Gewölbe in Dresden. Gegenüber dem MDR hat Labudde seine Anfänge reflektiert: Es sei einst ein sächsischer Staatsanwalt gewesen, der ihn erstmals zu einem Fall geholt habe. Labudde war angefixt, wollte Prozessabläufe verstehen, die Argumentationsstrukturen in einem Verfahren. "Da will ein Verteidiger schon mal ganz genau wissen, ob man an Hand von Körpermaßen und Körperproportionen, die von einer Überwachungskamera stammen, einen vermummten Menschen eindeutig identifizieren kann", so der Forensiker.
Und, kann man?
Labudde legte sich einen Bodyscanner zu und vermaß tausende Probanden. Danach sei er in der Lage gewesen, Menschen anhand von Gelenkpositionen, Skeletteigenschaften und Knochenlängen zu identifizieren. Der "Welt" wiederum verriet Labudde: "Wenn ich an eine Methode glaube, dann knie ich mich mit meinem Team hinein." Nur einer von einer Million Menschen habe das gleiche Skelett wie ein anderer, das wisse er heute.
Es sind solche Anekdoten, die Labudde als Nimmermüden zeigen, als Perfektionisten, als einen, der nicht aufgibt. Und der glaubt, dass das Unbekannte nur eine Variable ist, der man sich mit mehr und immer mehr Informationen annähern kann. Labudde hat sich ganz seinem Metier verschrieben, der Beruf ist für ihn Berufung. Wen will es da wundern, dass in seinem Keller Knochen echter Kriminalfälle in Pappkartons lagern? Labudde meint es ernst, der Job ragt ins Private.
Labudde hat noch Großes vor
"Ich möchte ein neues Zeitalter der Spur einläuten", hat dieser Labudde mal bekannt, ganz im Sinne seines Vorbilds Edmond Locard, eines Forensik-Pioniers. Aber Labudde denke bei der Forschung auch oft an seine Oma, an ein Bonmot, das diese ihm einst mitgab: Klug sei nicht der, der nichts Neues mache. Sondern klug sei der, der Neues auf Altes anwende.
Eine Losung, die Labudde in der Ermittlungsarbeit mit Nachdruck zu etablieren sucht. Die Ausbildung an den Polizeischulen müsse digitaler werden, fordert er immer wieder, auch um die Aufklärungsrate weiter zu verbessern. Knapp 60 Prozent aller Verbrechen und 90 Prozent aller Morde werden in Deutschland aufgeklärt, das belegen aktuelle Zahlen von Polizei und Behörden. Keine ganz schlechte Quote, man könnte damit zufrieden sein. Viele sind es.
Dirk Labudde findet, da gehe noch viel mehr.
Quellen: "Bastei Lübbe", "Focus", "Hochschule Mittweida", "MDR", "Welt"