Worum geht es in "Hologrammatica"?
Europa am Ende des 21 Jahrhunderts: Eine Virusepidemie hat die Weltbevölkerung auf die Hälfte dezimiert. Wer kann, kehrt Zentraleuropa den Rücken. Es ist zu heiß geworden. Paris im Sommer? Unerträgliche 45 Grad. In London ist es nicht viel besser, von Berlin redet niemand mehr, von Deutschland schon gar nicht. Die Nationalstaaten haben sich aufgelöst. Sie wurden hinweggefegt von einer immensen Völkerwanderung aus der Hitze in die Kühle. Sibirien ist einer der neuen "cool spots“ der Erde. Die politische Weltkarte wurde komplett neu gezeichnet. An die Stelle nationalstaatlicher Ordnung sind gewaltige Konzerne getreten. Einer dieser Mega-Unternehmen betreibt das sogenannte Holonet.
Müssen wir heute noch durch Brillen schauen, um Hologramme zu sehen, ist es 2088 genau anders herum. Die Welt am Holonet ist eine aus Hologrammen gebaute Fassade der Realität. Häuser, Autos, Kleidung, Menschen – alles und jeder wird mit einer holografischen Textur attraktiv angemalt. Die eindeutige visuelle Identität gibt es nicht mehr. Jeder kann aussehen, wie es ihm gefällt. Das ist ein geschütztes Grundrecht. Die Daten über holografische Veränderungen müssen binnen Stunden gelöscht werden. Privatsphäre geht über alles. Wer hinter den schönen Schein schauen will, benötigt eine Spezialbrille. Nur die Polizei hat Modelle, die sämtliche Veränderungen ausblenden und die Welt in ihrer ganzen Hässlichkeit zeigen. Und der Protagonist des Romans hat eine. Ohne sie wäre sein Job unmöglich.
Galahad Singh aus London ist ein Quästor, ein Privatdetektiv, der sich auf das Auffinden von Menschen spezialisiert hat. Kein leichter Job in diesen Zeiten. Er bekommt den Auftrag, die vermisste IT-Expertin Juliette Perotte aufzuspüren. Sie hat zuletzt an der Unsterblichkeit gearbeitet: der Digitalisierung des Gehirns und dessen dauerhafte Übertragung in einen künstlichen Körper. Seine Spurensuche führt Singh weit hinter die Kulissen einer Welt, von der er fast alles zu wissen glaubte. Denn möglicherweise steckt hinter der Entführung der talentierten Programmiererin kein Mensch, sondern etwas weitaus Gefährlicheres.
Wer spricht?
Den vielschichtigen Oliver Siebeck stellt "Hologrammatica" vor eine echte Herausforderung. Das Buch ist gespickt mit fantasiereichen Fachwörtern, technischen Erklärungen, schneller Action, langen Selbstgesprächen und einer handfesten Liebesaffäre zwischen zwei Männern. Siebeck ist ein absoluter Synchronprofi mit einer sehr wandelbaren Stimme, doch in "Hologrammatica“ gelingt es ihm nicht, jeder Person eine unverwechselbare Farbe zu verleihen. Für den Hörer heißt das Konzentrationsarbeit, wenn er sich Szenen bildhaft vorzustellen versucht. Den Hauptdarsteller Galahad Singh hat Siebeck hingegen fest im Griff. Die Rolle des unerschrockenen Privatschnüfflers ist für seine Stimme wie gemacht. Trocken, leicht melancholisch und mit einer Prise Ironie.
Warum lohnt sich "Hologrammatica“
Tom Hillenbrand hat mit "Hologrammatica“ den Urtypen des einsamen, sentimentalen Privatdetektivs à la Philipp Marlowe von Raymond Chandler mit dem Science-Fiction-Genre eines Phillip K. Dick elegant verwoben.
Dabei geht es Hillenbrand weniger um wissenschaftlich fundierte Fiktion. Er zeichnet vielmehr eine Utopie der Welt, wie sie sein könnte, denkt man die großen Themen von heute weiter: Der Klimawandel lässt die Menschen aus Europa flüchten, die Scheinidentitäten in den heutigen sozialen Netzwerke und der Filterwahn bei Selfies bekommen mit dem Holonet eine neue Dimension, für Reiche ändert sich auch in der Zukunft nicht viel – im Gegenteil, sie können sich Unsterblichkeit kaufen. Staatliche Strukturen ergeben sich in letzter Konsequent dem Kapitalismus. Und das "Internet der Dinge" durchzieht den Alltag bis in den letzten Winkel. Dabei kommt er jedoch nie mit dem Zeigefinger daher. Die Welt ist so wie sie ist. Sein Roman will keine Warnung sein, sondern ein packender Thriller mit Tiefgang, Action und einem wirklich überraschendem Ende in einer Welt mit neuen Möglichkeiten.
Für wen lohnt das Hörbuch?
"Hologrammatica“ ist erstklassiger Hörstoff für Science-Fiction-Fans, die gute Krimis lieben. Wem der Film "Blade Runner“ und Michael Kosers Hörspielreihe "Der letzte Detektiv“ gefällt, der kann bei dem neusten Werk von Tom Hillenbrand getrost zugreifen.
Was stört?
Die Welt von "Hologrammatica" ist faszinierend, der Protagonist vielschichtig und das Ende lässt Fragen offen. Es wäre bedauerlich, wenn es keine Fortsetzung gäbe.