Kindle Scribe Amazon will mit seinem neuen E-Book-Reader auftrumpfen – Schreibfunktion inklusive. Doch an der hakt's

Kindle Scribe
Der riesige Bildschirm schreit nach mehr als Büchern: Auf dem Kindle Scribe kommen Comics und Mangas bestens zur Geltung.
© stern / Christian Hensen
Mit dem Kindle Scribe bringt Amazon erstmals einen E-Book-Reader, auf dem man mit einem Stift auch schreiben kann. Darüber hinaus ist das Gerät riesig. Welche Vor- und Nachteile das für Leseratten und Tagebuch-Journalisten hat, zeigt der Test.

Amazons beliebte E-Book-Reader-Familie Kindle bekommt Zuwachs: Mit dem Kindle Scribe bringt das Unternehmen erstmals ein riesiges 10,2-Zoll-Tablet mit gestochen scharfem Bild und Eingabestift heraus. Richtig gelesen: Auf dem Kindle Scribe kann man nicht nur lesen, sondern auch Briefe oder Notizen selbst verfassen. Aber für wen eignet sich das gigantische E-Ink-Tablet, welches Amazon ab 370 Euro verkauft?

Kindle Scribe – der "dicke Schinken" unter den E-Book-Readern

Zunächst die Äußerlichkeiten. Der Kindle Scribe hat mit den handlichen kleinen Lesegeräten der Produktfamilie wenig gemeinsam. Das Display misst riesige 10,2 Zoll und ist damit 3,4 Zoll größer als das bisherige Luxus-Modell Oasis. Hinzu kommt ein dicker Rand, der wohl vor allem zum Festhalten dient. Die Gesamtbreite beträgt somit 19,5 Zentimeter, die Höhe rund 22 Zentimeter. Mit der passenden Hülle kommen in beide Richtungen nochmal rund zwei Zentimeter hinzu. 

Das wirkt sich natürlich auch auf das Gewicht aus. Einhändig in der Hängematte liegend liest mit dem Scribe nur noch Arnold Schwarzenegger. Das Gerät alleine bringt 431 Gramm auf die Waage, mit Stift und Hülle sind es 650 Gramm. Zum Vergleich: Der einfache Kindle (hier im stern-Test) wiegt 157 Gramm.

Kindle Scribe
Zum Lesen von Büchern ist der Kindle Scribe natürlich auch geeignet – wenn es aber nur darum geht, gibt es bessere Möglichkeiten.
© stern / Christian Hensen

Immerhin: Das Innenleben hat es in sich. Der Kindle Scribe wird von 35 LEDs beleuchtet und bietet trotz der großen Diagonale eine Pixeldichte von 300 ppi, was für ein gut ausgeleuchtetes und überaus scharfes Bild sorgt. Der Speicher beträgt zwischen 16 und 64 Gigabyte, der Aufpreis je Variante ist überschaubar. Amazon rät: "Wer primär E-Books und Dokumente liest, dürfte mit 16 GB gut zurechtkommen. Wer viele Audible Hörbücher hört, kann auch ein Modell mit 32 oder 64 GB Speicher wählen." Kurzer Einschub: Mit Kopfhörern ist es möglich, den Kindle als Abspielgerät für Hörbücher zu nutzen.

Im Preis ist jeweils der Stift enthalten, die günstigste Variante mit 16 Gigabyte und Standard-Eingabestift kostet 370 Euro, das größte Modell mit 64 Gigabyte und Premium-Stift liegt bei 450 Euro. Der Premium-Eingabestift verfügt über einen "Radiergummi" und eine Kurzbefehl-Taste, die sich mit verschiedenen Funktionen belegen lässt. Passende Hüllen hat Amazon auch im Angebot, die Stoff-Variante kostet 63 Euro, das Modell in Leder 90 Euro. Summa summarum liegt man mit Luxus-Scribe und Leder-Hülle bei maximal 540 Euro. 

Die Rechnung ist deshalb so interessant, weil der Hauptkonkurrent des Kindle Scribe, das E-Ink-Tablet "Remarkable 2" mit ähnlicher Ausstattung fast 100 Euro teurer ist. Auch dessen Basis-Version ist teurer als das Einstiegsmodell von Amazon.

Kindle Scribe für Bücherwürmer

Vorab: Wer mit dem Kindle Scribe nur Bücher lesen will, trifft eventuell nicht die beste Wahl. Zwar werden auf den großen Display auch bei langen Texten die Augen nicht müde, aber die Arme werden durch das hohe Gewicht mit der Zeit sehr schwer. Da man beim Kindle Scribe Bücher zwar auch in horizontaler Ausrichtung lesen kann, aber keine Möglichkeit hat, mehrere Seiten nebeneinander anzuzeigen, bietet das große Gerät keinen echten Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Kindle oder einem der hochwertigeren Modelle.

Anders sieht das aus, wenn man (farblose) Comics oder Mangas auf dem Gerät durchblättern will. Selbstverständlich spielt das große Display bei Zeichnungen seine Stärken aus und wirkt, als hätte man das entsprechende Heft tatsächlich in der Hand. 

Unabhängig vom Bildschirminhalt ist die Ausleuchtung des Kindle Scribe sehr gelungen, die verstellbare Farbtemperatur macht es den Augen noch leichter, sich nicht zu überanstrengen. Durch die enormen Abmessungen sind zudem genug Batteriezellen an Bord, die das Gerät über Wochen mit Energie versorgen. 

Kindle Scribe für Schreiberlinge

Die wichtigste und beste Funktion des Kindle Scribe ist ohne Zweifel die Möglichkeit, auf dem Gerät zu schreiben. Der Stift, im Falle des Testgeräts die Premium-Version, liegt einwandfrei in der Hand und tatsächlich fühlt sich das Schreiben auf dem Bildschirm in etwa so an, als würde man etwas zu Papier bringen. Die Oberfläche des Kindle Scribe scheint leicht rau zu sein, wodurch man eine Art Feedback zu spüren glaubt, das man von Kugelschreibern kennt.

Und noch eine Sache hat der Kindle-Stift mit einem Kuli gemein: Beide haben keinen Akku und das einzige, was man alle Jubeljahre tauschen muss, ist die Mine. Im Falle des Kindle ist das die Stift-Spitze, die sich über Zeit abnutzt. Falls man den Stift nicht braucht, haftet er entweder magnetisch an der Seite oder steckt in der Hülle.

Auf dem Kindle Scribe lassen sich verschiedene Dokumente bearbeiten oder verfassen. Es gibt Notizbücher in vielen Formen, darunter auch praktische To-Do-Listen. In Büchern lassen sich Notizen hinterlegen, die mit kleinen Symbole im Text hinterlegt werden und mit einem Tipp handschriftliche Hinweise preisgeben. Auch lassen sich durch eine E-Mail-Funktion, USB-Kabel oder Browser Word-Dokumente, Webseiten oder PDF-Dateien an das Tablet senden, die man anschließend mit dem Stift bearbeiten kann. In Word-Dokumenten stehen die genannten Notizen zur Verfügung, in PDF-Dateien kann man sogar völlig frei malen, schreiben oder markieren. Wenn fertig, geht's per Mail zurück an den Absender. Eigentlich praktisch.

Kindle Scribe
Die größte Stärke des Kindle Scribe ist noch nicht perfekt ausgereift – die handschriftlichen Notizen.
© stern / Christian Hensen

Allerdings wirkt es, als habe Amazon den Kindle Scribe an dieser Stelle nicht zu Ende gedacht. Denn für die perfekte Notizen-Maschine fehlen dem Gerät zwei wichtige Eigenschaften. So ist es nicht möglich, externe Dokumente automatisch auf den Kindle Scribe zu laden. Eine Anbindung an Cloud-Netzwerke wie OneDrive oder Dropbox ist nicht möglich, das Bearbeiten von Dokumenten ist stets mit dem Verschicken von E-Mails, dem Browser oder dem Anschließen per Kabel verbunden.

Außerdem unterstützt der Kindle keine Handschrifterkennung, auch OCR (optical character recognition) genannt. Das heißt, dass das Gerät nicht in der Lage ist, Notizen in Maschinenschrift umzuwandeln, die Schriftart zu ändern oder anderweitig zu verarbeiten. Jede Notiz ist und bleibt die eigene Handschrift – was im Falle einer "Sauklaue" zu Problemen bei der Lesbarkeit führen kann.

Auf Nachfrage wollte Amazon sich nicht dazu äußern, ob diese Funktion zu einem späteren Zeitpunkt nachgereicht wird. 

Fazit: Der Kindle Scribe hat eine spitze Zielgruppe 

370 Euro für einen E-Book-Reader – autsch. Für die traditionell recht günstigen E-Ink-Geräte ist das wirklich ein stolzer Preis, den Käufer irgendwie vor sich selbst rechtfertigen müssen. Der Kindle Scribe könnte es daher schwer haben, in diesem Markt anzukommen. Die Bildschirmqualität ist über jeden Zweifel erhaben, auch die Schreibfunktion hat Amazon toll gelöst. Es macht großen Spaß, mit dem Gerät zu arbeiten oder bildgewaltige Mangas darauf zu lesen.

Durch die fehlende Anbindung an externe Dokumentenspeicher und die offenbar bewusste Entscheidung, auf OCR zu verzichten, dürften viele potenzielle Käufer dennoch eher Richtung "Remarkable 2" blicken. Amazon selbst sieht Menschen, "die gerne ohne Ablenkungen wie auf Papier lesen und sich dabei Notizen machen oder relevante Passagen markieren wollen sowie Personen, die es vorziehen, handschriftliche Notizbücher, Tagebücher oder To-Do-Listen zu pflegen" als Zielgruppe. Ob es davon genügend gibt, wird sich zeigen.

Was das Lesen von Büchern betrifft, sollte man sich wohl besser anderweitig umsehen. Das hohe Gewicht und die fehlende Darstellung mehrerer Seiten machen das Gerät für diesen Zweck gegenüber den gängigen Alternativen wie dem Kindle Paperwhite oder Tolino eher uninteressant.

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