Worum geht es?
Das Amt des Bundeskanzlers hat seit nunmehr 15 Jahren eine Frau inne, auch das Bundesverteidigungsministerium wurde von einer Frau geleitet, eben jener, die darauf Präsidentin der Europäischen Kommission wurde. Und eine Frau steht an der Spitze der Europäischen Zentralbank EZB.
In der Justiz, von jeher eine Männerdomäne, geben Frauen seit zehn Jahren den Ton an. Im Wortsinn. So wurde Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann von einer Frau verurteilt. 2009 jagte eine Staatsanwältin erfolgreich den obersten Postbeamten Klaus Zumwinkel wegen Steuerhinterziehung und zwei Jahre später brachte eine Frau einen Vorstand der BayernLB hinter Gitter. Heute werden mehr Richterinnen als Richter berufen. In der Strafverfolgung stellen sie bereits die Mehrheit. Über die Hälfte der Richter unter 40 Jahren sind weiblich.
Den allermeisten Bundesbürgern erscheinen Frauen in Spitzenpositionen als völlig selbstverständlich. Diese Entwicklung ist hoffnungsvoll und erstaunlich zugleich. Es ist gerade einmal 60 Jahren her, dass die männlich dominierte Gesellschaft in Deutschland eine echte Gleichberechtigung von Mann und Frau für ausgeschlossen hielt, ja für geradezu widernatürlich.
Was das für die Frauen damals im Alltag bedeutete, zeichnet Autorin Katharina Fuchs in "Neuleben" an der Geschichte zwei bemerkenswerter Frauen nach ihrer Mutter und ihrer Tante. Die Tante war die eine der ersten Vorsitzenden Richterinnen Deutschlands, die Mutter eine erfolgreiche Modemacherin.
Berlin 1953, der Krieg ist seit acht Jahren vorbei und die Bundesrepublik gerade einmal vier Jahre alt. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" steht weit vorn im Grundgesetz. Der Paragraph hatte lediglich das Gewicht einer Redewendung. So jedenfalls erleben es Theresa Trotha und ihre Schwägerin Giesela. Beide Frauen wollen mehr, als sich in die Hausfrauenrolle zu fügen. Theresa studiert Jura, peilt ein Prädikatsexamen an, um Richterin werden zu können. Nicht nur ihr Professor macht ihr die Universität zur Hölle, ihre ausschließlich männlichen Kommilitonen wirken kräftig mit. Ganz in der Tradition der erzkonservativen Justiz der Weimarer- und Nazizeit, hielten die männlichen Juristen Frauen für zu gefühlvoll und daher weder zur Objektivität noch zur Härte fähig.
Giesela weiß schon früh um ihr Gespür für Mode. Sie erkennt Trends, entwickelt sie weiter, zeichnet die Schnittmuster und schneidert ihre Kreationen selbst. Ihre Karriere scheitert fast an ihrem Mann und der Rechtslage der damaligen Zeit. Als "Oberhaupt" der Familie kann er den gemeinsamen Wohnort bestimmen, seiner Frau die Arbeit verbieten und ihr die Weiterbildung untersagen. Frauen durften kein eigenes Bankkonto eröffnen, Kredite aufnehmen oder überhaupt größere Geschäfte abschließen. Wenig gute Rahmenbedingungen für eine talentierte Modemacherin.
Autorin Katharina Fuchs nimmt die Hörer mit auf eine authentische Zeitreise, bei der einem wegen der nach heutigen Maßstäben offen gelebten Frauenfeindlichkeit mehr als einmal der Atem stockt.
Wer liest?
Zwei weibliche Hauptrollen und zahlreiche männliche Protagonisten im Alter von 20 bis 70 sind eine Herausforderung für die Leserstimme. Kein Problem für Tanja Fornaro. Sie verleiht den beiden Hauptdarstellern Theresa und Giesela ganz eigene Farben, so dass sie vom Hörer leicht auseinander gehalten werden können. Und selbst die schwierigen Männerrollen intoniert die Berlinerin mit italienischem Hintergrund glaubwürdig.
Für wen lohnt das Hörbuch?
Wer im Fernsehen "Kuhdamm 56" mochte und die Hörbücher "Unsere wunderbaren Jahre" oder "Familiengeschichte" von Peter Prange schätzt, der liegt bei "Neuleben" und dem Vorgängerroman "Zwei Handvoll Leben" von Katharina Fuchs genau richtig. Der besondere Reiz beider Romane ist der Bezug auf den tatsächliche Familienhintergrund der Autorin. Und wer zu den Baby-Boomern gehört, taucht zudem ein wenig in die Geschichte seiner eigenen Eltern ein.