"Schmerz"-Ausstellung Chronische Übel und lustvolles Leiden

Patientenbögen als Kunstwerke, in Scheiben geschnittene Hirne und wuchernde Tumore: "Schmerz" ist eine Ausstellung zwischen Kunst und Wissenschaft. Ob eine Videoinstallation Trauernder, Kreuzigungsgemälde oder das Präparat einer Gichthand - die Ausprägung von Schmerz wird in vielen Kunstformen gezeigt.

Man sieht ihm das Grauen nicht an. Harmlos liegt der Beißstab in seiner Vitrine, wie ein Spielzeug für Kinder, denen grade die Zähne wachsen. Aber dann liest man: "Zum Einsatz bei Operationen ohne Narkose". Und presst vor Schreck heftig die Zähne aufeinander. Fast spürt man selbst die Schmerzen, die sich in diesen lederumwickelten Messingstab eingegraben haben. Niemand weiß mehr, wer es war, der sich hier festbiss, um nicht laut zu brüllen vor Schmerz. Aber unzählige Zahnabdrücke erinnern an das Leid.

"Schmerz" heißt diese ganz besondere Ausstellung. Die eine Hälfte der Schau findet im Museum Hamburger Bahnhof statt, die andere im Krankenhaus Charité und seinem medizinhistorischen Museum. Noch nie gab es eine Zusammenarbeit der beiden Institutionen, obwohl sie einander gegenüberliegen - getrennt nur durch eine Straße, die ausgerechnet Invalidenstraße heißt.

Es ist eine schaurig-schöne Ausstellung geworden, eine gelungene Gratwanderung zwischen Kunst und Wissenschaft: aufregend, bewegend und ganz und gar nicht wissenschaftlich trocken. Um Leiden und Heilen geht es, um chronische Übel und lustvollen Schmerz, um Christentum, Märtyrer und Ekstase.

Patientenbögen als Kunstwerke

Das Überraschendste: Oft kann man gar nicht erkennen, welches Objekt von einem Künstler erdacht wurde und welches aus dem medizinischen Alltag stammt. Denn hier wird alles vermischt. Die bunten Patientenbögen, auf denen Ort und Stärke der Schmerzen farbig markiert sind, sehen aus wie feine Kunstwerke. Der Künstler-Film über Menschen, die eine Narkose bekommen, könnte auch ein medizinischer Lehrstreifen sein. Eine riesige Vitrine mit medizinischen Präparaten stammt aus der Charité. Es würde aber niemanden wundern, wenn der Name des britischen Skandal-Künstlers Damien Hirst daneben stünde. Schließlich legt der gern mal einen Hai oder ein halbes Kalb in Formalin ein. Aber dies hier sind sorgsam verwahrte Teile von Menschen: in Scheiben geschnittene Hirne, wuchernde Tumore, verschlissene Gelenke, eine Lunge mit schwarzen Ablagerungen. Es ist konservierter Schmerz, kühl-ästhetisch und gerade deshalb sehr anrührend.

Schmerz - schrecklich und schön zugleich

Schmerz kann schrecklich sein und schön zugleich. Auf Videos quälen Radfahrer sich den Mont Ventoux hinauf und lassen Boxer sich blutig schlagen. Besonders krass: die schweizerische Marathonläuferin Gabriela Schiess-Andersen. Bei den Olympischen Spielen in Los Angeles kann sie sich nur noch schmerzgebeutelt und kriechend ins Ziel schleppen - und wird vom Publikum angefeuert und bewundert. Eine Heldin und Schmerzensfrau des 21. Jahrhunderts.

Die Ausstellung "Schmerz" ist noch bis zum 5. August in Berlin zu sehen, ein Teil der Schau findet im Museum Hamburger Bahnhof statt, der andere im medizinhistorischen Museum, Infos unter www.schmerz-ausstellung.de

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