Interview Jeff Koons "Ich fühlte eine mir nicht bekannte Ohnmacht"

In den 90er Jahren erregten seine Kunstwerke großes Aufsehen. Nun meldet sich Jeff Koons mit einer Doppel-Ausstellung in London zurück. Im stern-Interview redet der Skandalkünstler über die Entführung seines Sohnes - und was ihn mit Deutschland verbindet.

Wir haben lange nichts von Ihnen gehört.

Mir fiel kürzlich auf, dass dies meine erste große Ausstellung in Europa seit über 15 Jahren ist. Es gab ein Bild hier oder dort zu sehen, und einige Galerien stellten eine kleine Auswahl meiner Gemälde aus. Im Berliner Guggenheim Museum waren im Jahr 2001 ein paar neue Bilder zu sehen. Aber die letzte richtige große Show mit neuen Werken fand 1992 statt.

Warum ließen Sie uns so lange warten?

Viele meiner Werke waren während der vergangenen 15 Jahre in New York zu sehen. Aber meine Scheidung und der Streit um das Sorgerecht für meinen Sohn Ludwig nahmen in den 90er Jahren sehr viel meiner Zeit und Energie in Anspruch. Um dieser Situation zu entfliehen, konzentrierte ich mich ganz auf die Produktion meiner Werke für die Serie "Celebration" und arbeitete viele Jahre an deren Fertigstellung.

Jetzt zeigen Sie eine neue Serie von Gemälden, die den verheißungsvollen Namen "Hulk Elvis" trägt. Was hat es mit Ihrer Faszination für den "Hulk" auf sich?

Meine Arbeit bezieht sich auf objektive Kunst. Wenn ich früher einen aufblasbaren "Hulk" sah, konnte ich damit überhaupt nichts anfangen. Ich habe in meinen Werken viele aufblasbare Hummer und verschiedene Arten von Affen benutzt, aber ich konnte mich nie auf "Hulk" einlassen. Aber dann wurde mir klar, dass der "Hulk" eine Art asiatischer Gott ist, ein Beschützer. In der westlichen Kultur wird er hauptsächlich als Action-Figur gesehen, aber im asiatischen Raum hat er eine tiefere Bedeutung. Obwohl er zu großer Gewalt fähig ist und alles zum Einstürzen bringen kann, ist er auch ein Schutzengel. Diese Dualität fasziniert mich.

Was inspiriert Sie?

Ich will ein Gefühl erleben, das bis in die Eingeweide geht. Aber ich will auch eine Transzendenz schaffen, damit dieses Gefühl den Betrachter erreicht. Kunst kann dieses Gefühl vermitteln, wenn sie in der Lage ist, dem Betrachter zu Selbstakzeptanz zu verhelfen. Wenn man erkennen kann, wo die wirklichen, eigenen Interessen liegen. Wenn man das als Künstler erreicht, begibt man sich ins Metaphysische.

Marcel Duchamp sprach vom interaktiven Aspekt der Kunst, die den Betrachter mit in das Werk einbezieht.

Ich erlebe meine eigene Transzendenz, der Betrachter erlebt eine ganz andere Form. Aber ich glaube, meine Werke haben eine archetypische Qualität. Ich bin sicher, dass die Bedeutungen, Assoziationen und Geschichten, die andere in meinen Bildern sehen, meinen eigenen sehr nahe kommen. Ich beziehe mich auf viele bekannte Symbole, angefangen von der Venus von Willendorf bis hin zur modernen Kunst. Ich glaube, dass dieses Vokabular der Kunstgeschichte zu uns allen spricht und so ein Gefühl von Gemeinschaft schafft.

Sexuelle Aspekte stehen in dieser neuen Ausstellung nicht im Vordergrund. Ist Sex für Sie noch immer so wichtig wie in den 90er Jahren?

Fortpflanzung, das Überleben der Art ist der wichtigste Aspekt allen Lebens und deshalb nimmt Sex auch in der Kunst so viel Platz in Anspruch. Der erste diskriminierende Faktor ist das Geschlecht und dass alles in männlich und weiblich unterteilt wird. Meine Werke sollen immer beide Aspekte der Menschheit darstellen.

Ihre Kunst wurde als "postmodern" und "Kitsch" beschrieben. Welches Label ist Ihnen am liebsten?"

Mir ist die Bezeichnung "objektive Kunst" am liebsten. Im 20. Jahrhundert machte Kunst den Schritt von Subjektivität zu Objektivität. Pablo Picasso und Marcel Duchamp begannen mit objektiven Gesten: Kollagen, die Einbeziehung verschiedener Materialien und so weiter. Duchamps "Ready-Made"-Kunst ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Ich sehe meine Kunst als Fortführung dieses Dialogs.

In welcher Beziehung stehen Ihre Skulpturen zu Ihren Gemälden?

Ein Gemälde braucht viel länger als eine Skulptur. Wenn ich eine Idee für eine Skulptur ausformuliert habe, geht diese Idee in einen Produktionsprozess, der relativ einfach zu koordinieren ist. Man gibt das Konzept an einen anderen Menschen weiter, dann kommt das Werk irgendwann wieder zu dir zurück. Es herrscht eine gewisse Distanz. Bei der Herstellung eines Gemäldes hingegen muss jeder Pinselstrich, jeder einzelne Arbeitsschritt von mir beaufsichtigt werden.

Half die Kunst Ihnen dabei, die schwierige Scheidung von dem italienischen Pornostar La Cicciolina zu überstehen?

Die Scheidung selbst war nicht schlimm. Aber mein Sohn wurde nach Italien entführt und das war eine schreckliche Erfahrung. Es geschah einfach nichts. Ich fühlte eine mir bisher nicht bekannte Ohnmacht.

Sie sind einer der wenigen Künstler, der bis zu einer Million Euro pro Werk verdient. Erleichtert das die Arbeit?

Die Überlebensrate eines Werks steigt dramatisch mit seinem Preis. Wer viel Geld für ein Bild zahlt, wird sich bemühen, es so lange wie möglich zu genießen. Als Behinderung habe ich Geld nie gesehen.

Was halten Sie davon, dass Ihr Kollege Damien Hirst einen diamantenbesetzten Schädel für 75 Millionen Euro verkauft?

Kunst spiegelt immer auch die Bedürfnisse des aktuellen Marktes und der Menschen wider. Aber ich muss zugeben, dass ich mich bei solchen Aspekten oft überfordert fühle. Es gibt so viel Geld in der Welt, und ich verstehe oft nicht, wo das alles herkommt.

Die Ausstellung

Noch bis zum 27. Juli sind die Werke von Jeff Koons in der Gagosian Gallery in London zu sehen

Glauben Sie, es ist ein Problem, dass viele neureiche Russen zum Beispiel Kunstwerke aufkaufen, die dann nie wieder an die Öffentlichkeit gelangen?

Ich glaube, das stimmt so nicht. Ich finde es äußerst aufregend, dass Werke um die ganze Welt reisen, und ob sie in London zu sehen sind oder in Moskau, spielt doch keine Rolle. Für mich ist auch nicht wichtig, ob ein Werk ausgestellt wird - sondern wie. Wenn zum Beispiel eines meiner Werke nahe am Fenster hängt oder direkt in der Sonne, dann wäre es mir lieber, dass der Besitzer es im Keller versteckt hätte. Dort überlebt es länger. Kunst bewegt sich immer dorthin, wo es viel Macht und Geld gibt. Mehr und mehr Menschen werden Teil unseres ökonomischen Systems - und die Zahl wird weiter zunehmen. Es gibt also viel Wachstumspotenzial, und das finde ich sehr positiv.

Was verbindet Sie mit Deutschland? Zwei Ihrer Söhne, Ludwig und Kurt, haben deutsche Namen.

Ich wuchs in einer kleinen Gemeinde in Pennsylvania auf, die sich kulturell und historisch sehr auf Deutschland bezog. Auch die Landschaft dort scheint sehr deutsch. Mein Nachname wurde mit großer Wahrscheinlichkeit früher deutsch geschrieben, Kunz zum Beispiel. Auch meine Großeltern hatten sehr deutsche Nachnamen: Sittler, Dabler und Schmeltzer. Mein Hintergrund ist deutsch. Ich bin fast jeden Monat in Deutschland, vor allem in Frankfurt. Dort arbeite ich mit der Firma Arnold zusammen, die mehrere meiner Skulpturen und meine Güsse aus rostfreiem Stahl produziert. Als Familie fahren wir oft nach München, gehen dort oft in die Alte und die Neue Pinakothek, essen geräucherte Forelle mit Kartoffelsalat und trinken Weißbier. Die barocken Kirchen dort sind ein wunderbarer Ort für Kinder - sie können dort Kunst auf ganz natürliche Weise erleben.

Interview: Nicole von Bredow

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