Sein oder Nichtsein, gut oder böse, sich anpassen oder Widerstand leisten. Die Zerrissenheit des Menschen steht im Mittelpunkt von Luk Percevals "Hamlet"-Inszenierung. Die gelungene Neufassung der Tragödie von William Shakespeare feierte am Samstag im Hamburger Thalia Theater Premiere. Im Auftrag des Belgiers Perceval haben die Autoren Feridun Zaimoglu und Günter Senkel das Drama neu übersetzt und bearbeitet und ein energiegeladenes Werk mit poetisch- archaischer Sprache geschaffen.
Gleich zwei Schauspieler, der erfahrene Josef Ostendorf (Jahrgang 1956) und der 30-Jährige Jörg Pohl, spielen den jungen Prinzen von Dänemark, der den Mord an seinem Vater rächen soll. Unerfahren im politischen Geschäft, verwirrt und voller Hass täuscht Hamlet den Wahnsinn vor, der ihn zugleich zu überwältigen droht. "In Euer Kind zog der Nebel ein, Irrsinn nenne ich das", stellt der Oberkämmerer Polonius fest, dargestellt von einer großartigen Barbara Nüsse.
Der Zuschauer wird schon zu Beginn der Aufführung in eine düstere Traumwelt entführt. Eine riesige Wand mit hunderten dicht aufgehängten, dunkelfarbigen Kleidungsstücken erinnert an die Laubkulisse eines bedrohlichen Märchenwaldes. Vorne auf der Bühne liegt ein toter Hirsch. Das ist alles. Dazu gibt es expressive Klaviermusik mit Choralgesängen. Perfekt in Szene gesetzt werden die Schauspieler durch die geschickte Beleuchtung: Teilweise durchbrechen nur die Kegel einer grellen Taschenlampe die dunkle Welt.
Wenn auch deutlich verkürzt, bleibt die Geschichte zunächst am Original. Durch den Geist seines toten Vaters erfährt Hamlet, dass der machtbesessene Onkel Claudius dessen Mörder ist. Jener Onkel, der jetzt auf dem Thron sitzt und auch noch Hamlets Mutter erobert hat, wie mit derber Sprache berichtet wird. Der Prinz will Rache, das Drama nimmt seinen Lauf. "Der Zuschauer glaubt, in einem Traum gefangen zu sein", erklärt Autor Zaimoglu. "Die Figuren sind nicht logischen Gesetzen unterworfen, der Wahnsinn von Hamlet kocht über."
Die Doppelbesetzung der Titelrolle unterstreicht die Brüchigkeit des Prinzen, aber auch die Zerrissenheit der Gesellschaft. "Die verschiedenen Identitäten, die wir in uns tragen, sind völlig widersprüchlich", sagt Regisseur Perceval. "Man kann mit diesen schizoiden Zuständen spielen, in denen wir leben." Die beiden Hamlet- Protagonisten könnten gegensätzlicher kaum sein: der ältere, dickliche Ostendorf und der schöne, junge Pohl, der teils nur mit einer Krone bekleidet über die Bühne irrt. Die berühmten Monologe des von Zweifel, Wahn und Melancholie zerfressenen Prinzen bleiben dabei nicht aus: Sie werden von beiden geschickt im Duett vorgetragen.
Wer eine klassische, werktreue Aufführung des Shakespeare-Stücks erwartet hat, wird enttäuscht. Aber Originaltreue, also "ein banales Nachspielen des Textes", ist nicht das, was Zaimoglu im Sinn hat: "Wir müssen stattdessen den Wahnsinn, den Irrsinn, die existenziellen Bedingungen auf die heutige Zeit übersetzen." Im besten Falle müsse Theater infektiös sein und den Zuschauer anstecken. Genau das ist den Machern von Hamlet gelungen.