Gestern habe ich wieder einmal meine Mitmenschen besser kennengelernt: In einem Anfall beispielloser Güte hielt ich mit meinem Auto an einer nicht dazu verpflichtenden Stelle an, um eine rüstige Mittvierzigerin auf ihrem Fahrrad die Straße überqueren zu lassen. Doch statt dankbarem Blick ernte ich einen fast strafenden.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Das Phänomen ist systemimmanent: Radfahrer und Autofahrer verstehen sich in etwa so gut wie Friedrich Merz und Queerfeministinnen. Das manifestiert sich auch in den Situationen, in denen du als Autofahrer – und zwar egal, wie du dich verhältst – vom Radler angesehen wirst, als hättest du gerade dessen komplette Familie abgeschlachtet. Purer, ungebremster Hass.
Lastenräder sind eine grüne Ansage
Es ist ein natürlicher Schutzreflex, diese Gesichtsverpanzerung. Einem SUV von der Größe einer Doppelhaushälfte steht das Rad schließlich relativ schutzlos gegenüber. Spätestens wenn du dich als Fahrer einer Mercedes G-Klasse über das Klopfen wunderst und merkst: "Oh, das muss der Lieferando-Bote im Radkasten sein", weißt du: Aus großer Kraft wächst große Verantwortung.
Und um die wird gerungen, besonders in der City. Die Großstadt ist ein Habitat, das sich Autos und Fahrräder teilen müssen. Die Straße als Wasserstelle. Der BMW als Raubtier, das die scheue Gazelle vertreibt.
Doch so verängstigt ist die gar nicht mehr. Das Kräfteverhältnis wankt. Während der Autofahrer qua Gesetz an Radfahrern nur in Aerosolstreudistanz vorbeiziehen darf, rüstet die andere Seite neuerdings ordentlich nach. Fahrräder werden entweder schneller. Oder größer. Moderne Lastenräder, mittlerweile Statussymbol und Ausweis einer weltenfreundlichen Hafermilchigkeit, erreichen so langsam die Dimensionen eines Tesla Cybertruck. Die Dinger haben den Wendekreis eines Braunkohlebaggers, dafür passen in die Holzkiste an der Front aber auch drei vollvegane Großeinkäufe. Inklusive Maximilian, Lea-Sophie und dem kleinen Mats. Man ist eigentlich ein rollender Werbespot für die Grünen. Eine Habeck-Büste auf zwei Rädern.
All die Häme soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich an sonnigen Tagen in Hamburg (in Zahlen: circa drei) selber das Rad vorziehe.
Jetzt kommt natürlich die Kritik: "Jaaaa, nicht nur an sonnigen Tagen! Warum benutzt du es in der City nicht immer?!"
Nun, vermutlich weil es deutlich praktischer ist, das Mädchen nach der Kita mit dem Auto abzuholen, anstatt mit einem heulenden Kind nass, versifft und tropfend wie ein Golden Retriever quer durch die verregnete Stadt zu ächzen, während mir sämtliche Taschen und Puppen am Lenker das letzte bisschen Stabilität rauben.
Vereint gegen die Autofahrer
Vor ein paar Wochen habe ich aber trotzdem nach Ewigkeiten mein Fahrrad wiederentdeckt. Angebunden an einen Baum vor meinem Haus, halb verwittert und verstaubt stand es da.
Die ersten Male, die ich es in Betrieb nahm, verhielt ich mich dann auch gleich wie Tom Hanks in "Castaway", kaum dass er Feuer gemacht hatte. Auf dem Ding wirke ich, als hätte ich den Drahtesel höchstselbst erfunden, und gucke, als wollte ich der Welt sagen: "Hier, schaut mal! Keine Parkplatzsuche, kein Im-Stau-Stehen! Wie geil ist das denn!!"
Das stolze Leuchten in den Augen des early Adopters.
Zumindest so lange, bis ein Auto des Weges kommt.
Dann gucke ich natürlich augenblicklich böse und starre den Fahrer nieder. Ehrensache.