Er sagt es gleich selbst. Man muss nicht lange herumreden. "Bohemian Rhapsody" oder "Somebody To Love" auf einer Musicalbühne? Gesungen von kostümierten Imitatoren vor einem Publikum aus Kegelvereinen? Brian May sitzt auf einer roten Couch in seinem Landhaus nahe London, sein Blick pendelt zwischen mild und müde, seine Stimme ist leise und tief, seine dunklen Locken sehen aus, als ob sie bald grau werden, und unter seinem bunten Hemd spannt sich ein kleiner Bauch. Nein, war doch klar, "wir waren immer die größten Gegner von Musicals. Musicals! Abstellkammern musikalischer Meinungslosigkeit. Rock'n'Roll war das Gegenteil. Voll von Gefahr und Spaß. Wir waren wirklich die größten Feinde von Musicals". Dann macht er eine Pause. Überlegt. Und sagt: "Genau deshalb war es ja eine Herausforderung. Und Queen war immer die Band, die neue Wege gesucht hat. Wir wollten immer auf jeder Leinwand malen."
Was Brian May, Gründer, Gitarrist und Songwriter vieler Queen-Hymnen, damit meint, ist seit zweieinhalb Jahren im Londoner Dominion-Theater zu sehen, außerdem in Las Vegas, Sydney, Moskau, Spanien und ab dem 15. Dezember auch in Köln: "We Will Rock You" ist ein "Rock Theatrical" - so die Bezeichnung, mit der sie sich in England um das Wort Musical herumlotsen, weil sie wirklich nichts mit "My Fair Lady" oder "Phantom der Oper" zu tun haben wollen. Und sie haben es auch nicht. "We Will Rock You" ist eine ironisch gebrochene Rock-Schau, in der sich Musikrebellen in ferner Zukunft gegen die Diktatur eines weltumspannenden Unterhaltungskonzerns verschwören. Sie finden schließlich im Wembley-Stadion vergrabene Gitarren und erwecken den verbotenen Rock'n'Roll wieder zum Leben.
Die Geschichte aus der Feder des britischen Satire-Meisters Ben Elton (er schrieb auch Drehbücher der Mr.-Bean-Serie) hangelt sich dabei von Queen-Song zu Queen-Song. Es ist laut, es ist bunt, eine Liveband gibt sich redliche Mühe, den bombastfiligranen Queen-Sound zu treffen, und am Ende steht das Publikum auf den Stühlen und singt "We are the champions, my friend ...". Mit "Phantom der Oper" hat das nichts zu tun, eher schon mit "Hair" und der "Rocky Horror Picture Show" - und mit Queen. "Wir haben lange und hart daran gearbeitet, uns nicht zu verleugnen", sagt May, "und wir sind ganz zufrieden. Wir haben viele Gesetze des Genres gebrochen."
Produziert haben das Spektakel
die Band selbst und Robert De Niros Tribeca-Gesellschaft. De Niro ist bekennender Queen-Fan. Brian May wusste um das Risiko, ein musikalisches Lebenswerk einer Musicaltruppe zu überlassen, und überwachte gemeinsam mit Roger Taylor das Casting aller Darsteller und Musiker. Und sehr vorsichtig schrieb Ben Elton die alten Songtexte um, für die deutsche Version wurden einige Teile übersetzt, "nicht viel, aber der Text muss zum Geschehen auf der Bühne passen", erklärt May.
Unabhängig vom Musical erlebt der Sound von Queen derzeit ein Comeback: Die CD "Live at the Bowl", ein Konzertmitschnitt von 1982, kam in England und auch bei uns sofort in die Charts. Natürlich kann die Bühnenshow da nicht mithalten. Allerdings - May windet sich ein wenig - hätten auch die Theatergänger ein Recht, "das Rock-Gefühl zu haben. Es ist die Verbindung aus Spaß, Wut und Leidenschaft im Kopf. Sie spüren es in ihren Körpern, und sie sind glücklich".
Aber ist ein Queen-Song
ohne die Monumentenstimme Freddie Mercurys nicht wie ein Greta-Garbo-Film ohne Greta Garbo?, fragte die "New York Times". Brian May denkt wieder nach. "Nein, das wäre ungerecht, und Freddie wäre der Erste, der das sagen würde. Queen-Songs haben eine Menge mehr als seine Stimme, sie sind viel komplexer." Wie Recht er hat, kann man heute von jeder Kreisliga-Meisterschaft bis zu WM-Finalspielen hören, wenn Mittelstürmer und Torwarte sich schon ritualhaft zu "We Are The Champions" in den Armen liegen, ganz ohne die Stimme Mercurys. Brian May erinnert sich an den Tag, als ihnen die "Champions"-Hymne einfiel, "das war irgendwann Ende der 70er Jahre, und wir hatten ein Konzert hier in England, und es störte uns furchtbar, dass das Publikum alles von uns mitsang. Wir dachten, die sollen verdammt noch mal uns zuhören und nicht selber singen. Als wir danach im Bus saßen, sagte Freddie fast wütend, okay, wenn die es so wollen, dann geben wir es ihnen, aber richtig. Roger Taylor stampfte einen Rhythmus mit den Füßen, ich schrieb am nächsten Tag "We Will Rock You", und Freddie kam mit "We Are The Champions"". May lacht: "Die Plattenfirma wollte die Songs natürlich nicht, sie seien nicht radio- und hittauglich." Heute gehören die komponierten Eigenwilligkeiten zum Welterbe der Popmusik.
Im Garten seines Hauses hat sich der ehemalige Astronomiestudent May eine kleine Sternwarte gebaut, demnächst wird er ein Buch über Astronomie und Fotografie veröffentlichen. An der Wand seines Büros hat sich May neben der Urkunde seines Ehrendoktortitels der Naturwissenschaft auch einen Brief von Prince Charles eingerahmt. Der Thronfolger bedankt sich bei May für die Zusendung einer CD, "sie macht mir, aber bestimmt noch mehr meinen Söhnen Freude, und sie wird dafür sorgen, dass wir ein bisschen Krach im Hause haben". Ein bisschen Krach, so kann man ein Lebenswerk auch würdigen.