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Thomas Hübner Mit sanfter Wut: Clueso will politischer werden. Wir haben ihn begleitet

Clueso will seinen Pop wieder politischer klingen lassen
Über eine Million verkaufte Tonträger: Thomas Hübner, 38, hat es unter dem Namen Clueso zu Ruhm und Geld gebracht
© Christoph Koestlin/stern
Seine Lieder klingen weich, doch der Sänger Clueso denkt und handelt politischer als viele seiner Pop-Kollegen. Ein Spaziergang durch seine Heimatstadt Erfurt.
Von Fiona Weber-Steinhaus

Normalerweise würde Clueso hier selten hingehen. Zu hohe Selfiedichte, zu viele Leute. Doch ist es 37 Grad warm. Und unter der Krämerbrücke, dem Wahrzeichen Erfurts, 1325 gebaut, kühlen die Leute ihre Füße im kalten Wasser.

Clueso, der bürgerlich Thomas Hübner heißt, zieht seine Socken und Schuhe aus. Er ist inzwischen 38 Jahre alt – auch wenn er noch immer aussieht, als wäre er gerade von einer Interrail-Reise wiedergekehrt, gebräunt, mit matten Strandhaaren. Er watet durch den Fluss. Eine blonde Frau steht auf. Sie wollte ihn eh kontaktieren. Jetzt sei er ja hier. "Clueso", sagt sie, "darf ich dich kurz etwas fragen?" Es geht nicht um ihre Liebe zur Musik, ihre Begeisterung für seine Texte, sein Konzert vergangenes Jahr auf dem Domplatz. Sondern um Berufliches: Sie bereitet ein Video für die Wirtschaftsförderung Thüringen vor. Ob sie seine Konzertausschnitte dafür nutzen könnten? Clueso redet mit ihr, klar, warum nicht, gibt ihr die Nummer vom Management. Ein Selfie machen sie trotzdem.

"Kotz-Ton-Sänger"

Bekannte Erfurter gibt es einige: die Sängerin Yvonne Catterfeld, das Model Eva Padberg, die Moderatorin Janin Ullmann. Clueso hat mit seinen Singersongwriterliedern über eine Million Tonträger verkauft, erhielt für seine Alben vier Mal Gold, zwei Mal Platin. Der Radiosender "1Live" zeichnete ihn fünf Mal als Künstler des Jahres aus. Sein Lied "Gewinner" setzte sich als Ohrwurm der Bundesrepublik fest. Er sang das WM-Lied "Zusammen" mit den Fantastischen Vier; tourte mit Herbert Grönemeyer und trat mit Udo Lindenberg auf.

Ende August erscheint sein achtes Album, Titel: "Handgepäck I", auf dem er Lieder der vergangenen sieben Jahre zusammengestellt hat. Es ist eine Art Tagebuch. Man hört, wie sich seine untrainierte Stimme, deretwegen er sich "Kotz-Ton-Sänger" nennt, über die Jahre ändert.

Der Barfuß-Mann: Clueso unterwegs im Sommer von Thüringen, hier kühlt er seine Füße in der Gera
Der Barfuß-Mann: Clueso unterwegs im Sommer von Thüringen, hier kühlt er seine Füße in der Gera
© Christoph Koestlin/stern

Doch während viele der bekannten Erfurter gingen, nach Berlin und Hamburg, ist Clueso immer wieder nach Hause zurückgekehrt. Das rechnen ihm viele Bewohner hoch an; vielleicht sogar mehr als die Goldenen Schallplatten an der Wand. Clueso ist einer der Musiker, die Verantwortung für ihre Heimatstadt übernommen haben; er beweist, dass man auch abseits der Hauptstadt etwas bewegen kann. Als er Ende Juli aus Berlin zurück ins Erfurter Studio kommt, rollt er einen schwarzen Koffer neben sich her, den er immer dabei hat, egal, ob er drei Tage wegfährt oder drei Wochen. Mit dabei sind Kumpel, unter ihnen der Saxofonist seiner Liveband. Sie wollen hier Musik aufnehmen. Sein Studio wirkt wie ein musikalisches Open House. In einem Zimmer liegen Schlafsäcke und Gitarren, im Vorgarten tischen die Musiker gefrorene Windbeutel, Kippen und Kaffee im Schatten auf. Sie benutzen einen Rasensprenger als Gartendusche. Clueso hält sein Gesicht unter das Wasser, die anderen spritzen sich nass. In der flirrenden Hitze sieht der Vorgarten nach nie endenden Sommerferien aus.

Doch eine Woche zuvor gingen Tausende in München auf die #ausgehetzt-Demonstration. Immer mehr Leute finden sich zusammen, um gegen die Flüchtlingspolitik der CSU zu protestieren. Und Clueso ist wütend. Er findet, dass man eine Verantwortung hat, wenn nicht politisch, dann doch zumindest menschlich zu sein.

Künstler gehörten zu den wenigen, auf die manche Menschen hörten, weil sie auf Politiker "keinen Bock mehr" hätten. Das ist natürlich keine dezidierte Analyse zu Themen wie Ankerzentren oder Botschaftsasyl. Aber im Vergleich zu anderen milden Sängern wie Tim Bendzko, Mark Forster und Max Giesinger bezieht Clueso tatsächlich Stellung.

Clueso kommt aus dem Hip-Hop

Vor 17 Jahren, noch vor den Terroranschlägen des 11. September, als es weder den IS noch die AfD gab, veröffentlichte Clueso "Text und Ton", sein erstes Album. Zu der Zeit hatte er längst seine Friseurausbildung geschmissen. Er hatte den Hinweis der Berufsberatung ignoriert, auf dem Bau zu arbeiten, genau wie die Sorgen seiner Eltern, überhaupt ins riskante Musikgeschäft einzusteigen. Clueso kommt aus dem Hip-Hop, benannte sich nach dem schusseligen Film-Inspektor Clouseau ("Der rosarote Panther"), der es trotzdem irgendwie hinbekommt.

Bitte nicht abheben: In Erfurt bewegt sich Clueso ganz frei
Bitte nicht abheben: In Erfurt bewegt sich Clueso ganz frei
© Christoph Koestlin/stern

Er galt bald als netter Typ von nebenan, als Projektionsfläche für aufkeimende Hormonwallungen. Er hatte damals und hat auch heute keine Lust, seine Texte komplett politisch aufzuladen. Ihm reicht das Zwischen-den-Zeilen. Wenn Leute ihm sagen, er müsse etwas Krasseres sagen, entgegnet er: "Vielleicht braucht's auch Eier, das gerade nicht zu machen."

Er hält es aus, dass manche seine Lieder für kitschig halten, er ordnet sich in der Popmusik ein – und wird trotzdem auf Indie-Festivals eingeladen. "Musiker haben sich schon immer auf Obstkisten gestellt und der Masse zugerufen, in welche Richtung die Gesellschaft sich gerade dreht", sagt er. Das will er vielleicht noch mehr als früher machen.

Am Anfang seiner Karriere musste er bei einem Konzert gegen rechts in der sächsischen Stadt Wurzen die Halle mit Schulbänken verbarrikadieren, aus Angst, von Skinheads verprügelt zu werden. "Das war Kriegsstimmung", erzählt er. Er und seine Band hatten Angst.

Eigenes Callcenter

Inzwischen hat Clueso das Gefühl, dass sich wieder etwas tun muss. Dass gegen das Gift in der öffentlichen Debatte angegangen werden muss. "Das ist wie ein Stück Treibholz, das seit Jahren auf dem Wasser schwimmt", sagt er. "Jetzt aber hat sich das Holz umgedreht; es ist offensichtlich, dass es modert."

Je bekannter er wurde, desto mehr wollten ihn manche der aufkommenden neuen ostdeutschen Welle zuordnen, zu der die Band Silbermond aus Bautzen zählte sowie Tokio Hotel aus Magdeburg und der Rapper Marteria aus Rostock. Gegen diese Einordnung wehrte er sich – und redete gleichzeitig viel über seine Herkunft. "Ich wollte nicht der Sänger aus dem Osten sein", sagt er heute. Die Fans hätte es auch nie so interessiert, findet er.

Auch wiederholte Bitten um Selfie-Fotos erfüllt Clueso lächelnd
Auch wiederholte Bitten um Selfie-Fotos erfüllt Clueso lächelnd
© Christoph Koestlin/stern

Was allerdings so gar nicht stimmt. Denn Clueso schafft es, die DDR und den Mauerfall auch Leuten zu erklären, die diese Zeit nur aus "Good Bye Lenin" und "Weissensee" kennen. Und er bot ein anderes Narrativ – das der persönlichen Geschichte: Sein Bruder und er rochen vor der Wende vier Wochen lang an einer Tictac-Schachtel, weil die Sehnsucht nach diesem unbekannten freien Land auf der anderen Seite so groß war. Er erzählt, dass im Hochhaus seiner Großmutter sich alle kannten und grüßten; dass aus den Türschlitzen derselbe Geruch kroch, weil alle das gleiche Essen einkauften und kochten. Er erzählt von der Ernüchterung nach 1989, wie sein Bruder und er sich kaputtlachten, weil plötzlich alle bei ihnen klingelten: Versicherungsvertreter, Vorwerkverkäufer. "Die Sehnsüchte wurden vom Kapitalismus auch ausgenutzt", sagt er heute. "Manche haben sich bestohlen gefühlt."

Doch Clueso ist nicht nur der bekannte Sohn der Stadt; er hatte mit seinem damaligen Manager einen Ort für Kreative in Erfurt geschaffen. Der Zughafen, ein Gebäudekomplex am Güterbahnhof, war für ihn die Utopie aus Zusammenarbeit und Kreativität. Aus dem Sänger Clueso wurde ein Chef mit vielen Angestellten. Er wurde zu einer Marke. Sie betrieben ein eigenes Callcenter, wollten den Ticketverkauf mit dem Albumdownload verlinken. Es lief gut.

"Neuanfang"

Bis zu 70 Menschen begleiteten Clueso auf Tour, eine Riesenzusatzfamilie mit allen Vor- und Nachteilen. Clueso und sein Manager hatten auch eine Idee für die Stadt: Ohne Hilfe in der kommunalen Verwaltung wächst die lokale Kultur nicht. Man muss den Künstlern helfen. Das sagten sie der Bürgermeisterin Tamara Thierbach. Sie forderten einen "Kulturlotsen", jemanden, der Künstlern vom Antragswesen bis zur Genehmigung von Veranstaltungen helfen sollte. Für Thierbach ist es eine Erfolgsgeschichte: "Diese Kulturlotsenstelle wurde umgehend in der Kulturdirektion etabliert", sagt Thierbach. Es war Grundlagenarbeit; etwas für die Leute vor Ort zu machen.

Dennoch begann die selbst geschaffene Marke auf Cluesos Schultern zu lasten. Nach 15 Jahren wurde sie ihm zu viel. Doch wie sagt man das Menschen, mit denen man gearbeitet, gelacht, Reisen gemacht und gestritten hat? Ein Mitarbeiter war seit 20 Jahren dabei. "Ich muss hier raus", teilte Clueso irgendwann mit, ließ sich von einem Mediator beraten. 2015 trennte er sich von seiner Band, seinem Manager und seinem Label. Sein folgendes Album hieß "Neuanfang". Ein Gefühl der Freiheit. "Das Beste ist, dass niemand in meiner Abhängigkeit steht", sagt Clueso.

Fast jeder Erfurter hat seine eigene Clueso-Geschichte. Die Bürgermeisterin Thierbach lernte ihn durch ihre inzwischen erwachsenen Kinder kennen. Ein Mann an der Krämerbrücke erinnert sich, dass Clueso 2005 in seinem Gymnasium spielte, als es geschlossen werden sollte. Jetzt möchte er ein Selfie. Eine Frau hat zu Cluesos Lied "Zusammen" geheiratet.

Empathie

Und auch der Zughafen, das ehemalige Projekt, bleibt mit Clueso verbunden. Vor Kameras und Lokaljournalisten unterzeichnete er im April eine Absichtserklärung: Die Stadt kauft der Deutschen Bahn die Halle am Güterbahnhof ab und wird die Fläche den Kreativen zur Verfügung stellen. Es gibt dort jetzt einen Nachtclub und eine Brauerei. Clueso meint, er habe keine Ahnung von Politik. "Aber man muss menschlich sein", sagt er. "Mir geht's ja nur um die Empathie", sagt er.

Vielleicht ist das schon eine Forderung, die nicht zu hoch und nicht zu niedrig ist, um sie tatsächlich umzusetzen.

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