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Lärm in der Bel-Etage Die Einstürzenden Neubauten erschüttern die Elbphilharmonie

Wie klingen Benzinkanister, Plastikrohre und ein Drillbohrer in der neu eröffneten Elbphilharmonie? Nach den Eröffnungstagen voll Hochkultur wurde es mit den Einstürzenden Neubauten zum ersten Mal richtig laut im neuen Hamburger Wahrzeichen.
Von Oliver Creutz

Soll keiner mehr sagen, die Elbphilharmonie sei nur für die feinen Leute gebaut worden: Auf den Stufen, die sich von der Plaza breit nach oben in Richtung Konzertsaal drehen, haben sich an diesem Samstagnachmittag Gestalten versammelt, die das Establishment sonst eher meiden: Alt-Punks, spiddelige Biertrinker in Schwarz, dazwischen Bela B. von den "Ärzten".

Gekommen sind sie, um auf ihre Weise die Elbphilharmonie zu eröffnen: mit den Einstürzenden Neubauten, die in den 80er Jahren als Bürgerschreck starteten, sich längst aber in der Hochkultur eingerichtet haben. Und so werden die Eintrudelnden, von denen nicht wenige danach fragen, wo denn die Raucherterrasse sei, mit einem Programmheft (!) sowie mit Ohrstöpseln (!!) versorgt.

Tücher schützen die Wände der Elbphilharmonie

Kurz nach 17 Uhr haben dann alle Platz genommen in den gemütlichen Sesseln. Die Wand des Saals, die sagenumwobene "Weiße Haut", die zur Super-Akustik dieses Ortes beiträgt, ist teilweise mit weißen Tüchern verhängt worden. Könnte sonst vielleicht zu heftig werden. Unter dem Klang-Pilz baumeln heute Lautsprecher, die wirken wie riesengroße Spinnen, die sich aus ihrem Netz abseilen.

Im Lichtkegel: Blixa Bargeld, der das Publikum mit dem Satz begrüßt: "Wir sind das Ensemble Einstürzende Neubauten, und wir spielen unsere größten Hits auf historischen Instrumenten." Als da wären: ein Plastikfass, Benzinkanister, ein klingender Drillbohrer, ein Xylophon aus Plastikrohren, ein Schlagzeug, das nicht aus Fellen, sondern aus Blech besteht – das bekannte Instrumentarium der Neubauten. Als hätten sie eingesammelt, was von der Baustelle der Elbphilharmonie übrig blieb.

Der Witz ist ja allzu klar:  zehn Jahre Bauzeit, und jetzt kommt die Band, die eine ihrer ganz frühen Platten "Strategien gegen Architektur" genannt hat. Und als würde er alten Rotwein kosten, lässt Bargeld sich die Zeilen "Die neuen Tempel haben schon Risse / Alles künftige Ruinen" auf der Zunge zergehen (in dem Song "Die Befindlichkeit des Landes"). Kommt gut an, und vielleicht schafft Bargeld es mit seinen immer noch unfassbar spitzen Schreien, die an einen hochfrequenten Bohrer beim Zahnarzt denken lassen, ein paar Fasern im Gebälk aufzureißen. Eine Frau mit grauem Schopf hält sich die Ohren zu und wippt im Takt mit.

Mittendrin erzählt Bargeld vom Jahr 1983, als die Band in einem Flutkeller der nicht weit entfernten Hafenstraße gespielt habe. Hausbesetzer-Zeiten, Bürgerkrieg an der Elbe, alles längst verdaut: Man hat sich an diesem Nachmittag ja friedlich hier eingefunden, aber wisst ihr noch? Die Neubauten symbolisieren wie kaum eine andere Radikalen-Gruppe den Marsch durch die Institutionen, sie haben sich in die Bel Etage hinein gelärmt. Bargeld wäre demnach eine Art Joschka Fischer des Höllenkrach-Rocks (figürlich noch nicht ganz).

Das mit dem Krach ist übrigens nicht mehr so schlimm: Die Songs sind durchwebt mit ihm, doch er wirkt nicht mehr wie eine Fratze, eher wie ein Kopfschuss in Nahaufnahme in einem Taratino-Film: gehört einfach dazu.

An diesem Tag spielen die Neubauten wegen der starken Nachfrage zwei Konzerte; das zweite später am Abend. Kurz nach 18 Uhr sagt Bargeld in Conferencier-Laune: "Nachmittags-Matinee – ich mache das sehr gern. Man kann danach noch so viel unternehmen." Nach knapp zwei Stunden ist es vorbei, die Musiker verbeugen sich, wie es sich in diesem Rundum-Saal geziemt, in alle Richtungen; das Publikum begleitet ihren Abgang mit stehendem Beifall. Ein paar Besucher, die diesen herrlichen Kokon nicht verlassen mögen, werden kurz darauf von einer Ordnerin ermahnt: "Wir müssen jetzt den Saal räumen." Fast wie einst im Punkrock.

Oliver Creutz, Leiter des stern-Kulturressorts, sah die Einstürzenden Neubauten zum ersten Mal 1988 auf der Freilichtbühne der Loreley am Rhein. Die Schreie von Blixa Bargeld waren schon damals markerschütternd.

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