Meinung Macht die Politik den Eurovision Song Contest kaputt?

ESC: Yuval Raphael vertrat Israel beim Eurovision Song Contest 2025
Yuval Raphael vertrat Israel 2025 beim Eurovision Song Contest (ESC)
© Jens Büttner / DPA
Israels Teilnahme am ESC spaltet die Nationen. Spanien, Irland, Slowenien und die Niederlande haben einen Boykott angekündigt – und könnten somit den Wettbewerb zerstören.

Nicole sang 1982 von "Ein bisschen Frieden", die ukrainische Künstlerin Verka Serduchka 2007 die Phantasieworte "Lasha Tumbai" – was sich herrlich auf "Russia Goodbye" reimte. Als Georgien beim Eurovision Song Contest (ESC) 2009, der in Moskau ausgetragen wurde, mit dem Titel "We Don’t Wanna Put In" an den Start gehen wollte, wurde es den Verantwortlichen der Europäischen Rundfunkunion (EBU) doch zu bunt. Mit Verweis auf die unpolitische Ausrichtung des Musikwettbewerbs wurde der Song disqualifiziert. Doch in Wahrheit war der paneuropäische Contest noch nie unpolitisch. Im Gegenteil.

Es werden Nationalfahnen geschwenkt und am Scoreboard steht am Ende nicht der Name einer Sängerin oder eines Sängers, sondern der eines Siegerlandes. Das darf den Wettbewerb im Folgejahr mit entsprechendem Brimborium austragen. Für viele Länder Ansporn genug, den Musikwettbewerb für politische Interessen zu missbrauchen. Doch standen bislang eher autokratisch geführte Regime im Verdacht, den ESC politisieren zu wollen (Belarus' Machthaber Lukaschenko gilt als großer ESC-Fan), sind es jetzt westliche Demokratien. Spanien, Irland, Slowenien und die Niederlande erweisen der Vision des ESC von "United by Music" einen Bärendienst.

Israel debütierte 1973 beim ESC

Die vier Länder werden den ESC 2026 wegen der Teilnahme Israels boykottieren. Das haben die verantwortlichen Rundfunkanstalten mitgeteilt. Andere Nationen wie Island könnten noch folgen. Vorausgegangen war ein monatelanges Gezerre um den Status Israels, das 1973 beim ESC debütierte und viermal gewann. Die Logik der Boykottierer: Wegen Menschenrechtsverletzungen im Gazakrieg müsse Israel aus dem Wettbewerb ausgeschlossen werden, so wie Russland und Belarus nach dem Beginn des Ukrainekrieges. Dass nicht Israel diesen Krieg begann und dass die teilnehmende israelische Rundfunkanstalt KAN nicht staatlich kontrolliert wird, scheint nebensächlich. Sogar Regierungschefs wie Bundeskanzler Friedrich Merz mischten sich in die Debatte ein und heizten damit den Konflikt weiter an.

"Was für ein Durcheinander", sagt Paul Jordan dem stern. Der Brite verfasste seine Doktorarbeit zum ESC und begleitet den Wettbewerb seit Jahrzehnten. "Es ist sehr traurig mitanzusehen, dass Freunde den Wettbewerb verlassen und die Eurovision toxisch geworden ist." Die EBU habe zu lange gehofft, die Israel-Sache werde von allein verschwinden. Eine komplizierte Situation, die einmalig in der Geschichte des Wettbewerbs sei. Jordan wirft den boykottierenden Staaten eine Doppelmoral vor: "Sie hatten 2011 kein Problem, nach Aserbaidschan zu reisen." Es sei eine Schande, dass der liebenswerte Sangeswettbewerb zum Spielball der Politik geworden sei.

Ob die Boykottländer 2027 zum ESC zurückkehren werden? Unklar. Israel jedenfalls, das ist sicher, wird sich nicht aus dem Wettbewerb zurückziehen. Nach 70 Jahren ESC-Geschichte droht der kulturelle Liederwettkampf, der wie kein zweiter für Völkerverständigung steht, von der Politik aufgerieben zu werden. Eine Lösung bietet Schweden an: Der Sender SVT empfiehlt, sich auf die Wurzeln des Wettbewerbs zu besinnen und wird "keine politische Haltung" einnehmen. Verschiedene Meinungen gilt es beim ESC auszuhalten. Wie manchen Liedbeitrag auch.

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