Goldfrapp: "Seventh Tree" Discokugel statt Drama und Dekadenz

Von Annette Stiekele
Musik, wie aus einem David-Lynch-Film entsprungen: Dafür steht das britische Pop-Duo Goldfrapp. Ihr neues Album "Seventh Tree" ist zwar lange nicht so pathetisch wie ihr Debüt "Felt Mountain", könnte dafür aber einen neuen Trend kreieren.

Das ungewöhnlichste Plattencover lieferte im Jahre 2000 ein Duo von der britischen Insel ab. Zwei gelockte Frauenköpfe, die direkt aus einem Rokokogemälde entsprungen sein könnten. Im Booklet ein idyllisches Alpenpanorama mit verschneiten Gipfeln. Die Musik entfaltete Gefühle im Cinemascope Format. Elegische Geigen, darüber eine neurotisch flüsternde Frauenstimme. Die perfekte Musik für einen David-Lynch-Film.

Mit ihrem so unaufdringlichen, berückend schönen Debüt "Felt Mountain" war dem Pop-Duo Goldfrapp Aufmerksamkeit sicher in einer Branche, in der für gewöhnlich nur der lauteste gehört wird. Goldfrapp, das sind die zierliche, puppengesichtige Sängerin Alison Goldfrapp und der Keyboarder und Arrangeur Will Gregory. Nachdem sie sich einige Semester an der Kunstschule in Middlesex studiert hatte landete die Tochter eines exzentrischen Londoner Bohemepaares irgendwann am Mikrofon von Trip-Hop-Legende Tricky. 1999 traf sie den Gregory. Beide hatten die gleichen Vorstellungen von Kunst und mochten die gleichen Filme. Das Duo Goldfrapp war geboren.

Discokugel statt Drama und Dekadenz

2003 folgte "Black Cherry", ein Album voll überraschender Power. Musikalisch landeten Goldfrapp mit Liedzeilen wie "You Feel God, You Feel Right, So Good, Tiptoe Over Me" plötzlich zielsicher auf der Tanzfläche. Discokugel statt Drama und Dekadenz. 2005 folgte "Supernature". Der melancholische Morricone-Sound war passé. Da funkelten die Glitzertopps und knirschten die High Heels. Alison Goldfrapp erklärte Marlene Dietrich zu ihrer Heldin und belebte den Glam und Upbeat von 70er-Jahre-Größen wie Roxy Music und Marc Bolan neu. Bald waren Goldfrapp als hipper Dance-Act etabliert. Ihre Alben wurden für Preise nominiert. Madonna machte ihre Pilates-Übungen zu ihrer Musik und kopierte auch schon mal ihre Uniformen. Auch in ihren Live-Shows bewiesen Goldfrapp Gespür für die richtige Inszenierung. Auf der Bühne verwandelte sich die mysteriöse Alison Goldfrapp in einen sexy Vamp. Ihre ausgefallenen Kostüme mit Overknees, Samt und Satin versetzt mit Pfauenfedern oder Strasspferden kreierte sie selbst.

Die eisigste Interviewpartnerin von der Insel

Gleichzeitig hatte sie sich einen Ruf als unnahbare, geheimnisvolle neurotische Künstlerin erworben. Und als eisigste Interviewpartnerin von der Insel. Jetzt gibt es ein neues Goldfrapp-Album. Es heißt "Seventh Tree" (Mute) und ist eine kleine Revolution. Kein Glitzer und kein Glamour weit und breit. Stattdessen introvertierte, elektronische Melodien, lange nicht so pathetisch wie auf dem Debüt. Stattdessen Folkgitarren, zurückgelehnte Sounds, darunter fast schon Hippie-Hymnen. Auf dem Cover eine als trauriger Clown verkleidete Alison Goldfrapp, die sich im Booklet von einer riesigen Papiereule umarmen lässt.

"Clown" ist auch der erste Song auf dem Album. "Only Clowns Would Play With Those Balloons/What'd Ya Wanna Look Like Barbie For?", singt Alison Goldfrapp hier. "Ich habe wahnsinnig viel Trash-TV gesehen. Dort wollen alle Frauen einem bestimmten Look entsprechen und pumpen ihre Brüste auf Barbiepuppengröße auf. Ich finde das deprimierend". Deprimierend findet sie auch, immer auf ihr Alter, sie ist 39 Jahre alt, angesprochen zu werden. "Ich war auf einer Party mit vielen berühmten Leuten und alle fragten, wie alt ich sei. Als wollten sie wissen, ob ich zu alt sei, um aufs Hotelzimmer geschleppt zu werden oder um noch auf der Bühne zu stehen."

Das andere große Thema des Albums sind Beziehungen, verlorene und verhängnisvolle. Alison Goldfrapp räumt ein, eine harte Zeit und eine "desaströse" Beziehung hinter sich zu haben. In "Eat Yourself" ist die Liebe einseitig. Mit "I Never Thought I Would Return/To Be Consumed By You Again", besingt Alison Goldfrapp schonungslos eine "Monster Love" im oberflächlichen Hollywood. "Ich dramatisiere hier eine Affäre. Hollywood war der reale Ort, aber er eignet sich auch gut als Metapher für falsche Hoffnungen und Erdbeben." Die Krise rüttelte die Sängerin wach. Und ließ sie zu neuen künstlerischen Ufern aufbrechen.

Britisches Volkstum, Lagerfeuerromantik und eine Messerspitze Horror

Ein ganz realer Baum mit der Nummer sieben darauf, brachte sie auf die Idee für den Titel. Für die Aufnahmen hat sich das Duo erneut ins ländliche Bath zurückgezogen, in dessen Nähe sie beide wohnen. Beide wollten, dass das neue Album psychedelischer klinge als die Vorgänger, ohne eigentlich zu wissen, was sie damit meinten. Der besonnene Will Gregory meint: "Nach der anstrengenden Tour wollten wir weg von den lauten, explosiven Beats. Hin zu einer anderen, wärmeren, menschlichen Atmosphäre". "Seventh Tree" ist das Ergebnis ihrer beider Lust an einem gelungenen Eklektizismus. Wenn schon mischen, dann aber richtig: schräge Elemente aus dem britischen Volkstum, Lagerfeuerromantik, eine Prise kalifornischer Roadmovies aus den 70er-Jahren und eine Messerspitze Horror.

Erstmals haben Goldfrapp hier auch mit einem Produzenten zusammengearbeitet. Flood stand ihnen musikalisch schon aufgrund seiner Arbeiten mit PJ Harvey und Depeche Mode nahe. Außerdem kollaborierten sie mit der Harfenistin Ruth Wall. Im Song "Eat Yourself" ist ein so genanntes Optigon zu hören. Eine Art Orgel, die man mit Soundloops bespielt. Das Thema "unterwegs sein" zieht sich wie ein roter Faden durch das Album, das man damit fast schon als Konzeptalbum bezeichnen könnte. Es ist sehr melancholisch, gleichzeitig aber seltsam gelassen. Es wird neue Hörer anlocken, Freunde der schwülen Vampshow aber wohl eher verschrecken. "Immer das gleiche zu machen, ist doch langweilig", sagt Alison Goldfrapp bestimmt. Auch die Bühnenshow wird anders aussehen: "Wahrscheinlich werde ich jetzt statt High Heels Birkenstocks und lange Wollsocken tragen". Goldfrapp könnten wieder einen neuen Trend kreieren.

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