Auf Tour Sänger Max Raabe wird heute 60. Seinen Geburtstag will er aber nicht feiern – aus einem ganz eigenwilligen Grund

Portrait von Max Raabe im September 2022
An seinem Geburtstag ist Max Raabe auf Tour und "froh, einen Tag Ruhe zu haben"
© Britta Pedersen / DPA
Er könnte seinen runden Geburtstag ganz groß feiern. Und doch wird Max Raabe heute höchstens zu einem Abendessen ausgehen. Aus Faulheit, sagt er. Aber nicht nur.

Herr Raabe, Sie werden diese Woche 60. Wird es, wie es in ihrem aktuellen Lied heißt, ein "Tag wie Gold"?
Diesmal lass ich es ausfallen, aber eher aus Faulheit. Entweder man feiert einen Sechzigsten richtig groß, oder man lässt es bleiben. Wir sind auf Tour, es sind massive Zeiten, ich bin froh, einen Tag Ruhe zu haben. Wir werden zu zweit oder zu dritt gemütlich essen gehen.

Sie haben die 1920er Jahre zum Trend gemacht. Was fasziniert an diesen Umbruchsjahren, die im Debakel endeten?
Ich werde das seit 30 Jahren gefragt. Es liegt wohl daran, dass dieser Tanz auf dem Vulkan, der damals stattfand, immer eine Faszination ausübte, gerade im Kontrast zu dem, was danach kam. Aber es ist auch der Musikstil, der auf seine Weise zeitlos qualitativ unverändert ist. Hat es mit der Gegenwart etwas zu tun? Ich glaube nicht, jede Zeit ist für sich anders und eigenständig.

Umbrüche: „Ich will das Elend von heute nicht kleinreden, aber das ist doch anders.“

Die aktuellen Zwanziger sind erneut ein Jahrzehnt der Brüche und Umbrüche. Wirklich keine Parallelen?
Es ist eine völlig andere Zeit. Nach dem Ersten Weltkrieg lebten viele Menschen in Hinterhäusern, mussten sich die Betten in Schlafschichten teilen. Ich will das Elend von heute nicht kleinreden, aber das ist doch anders. Was man allerdings feststellen muss, ist dass die Menschen in den vergangenen hundert Jahren nicht klüger geworden sind. 

Als Experte für die Zwanziger gefragt, welche Lehren kann man ziehen?
Aufzupassen. Wir müssen sehr aufpassen. Die Geschichte tut uns nicht den Gefallen, sich zu wiederholen. Das Gefährliche kostümiert sich immer anders. Nichts bleibt, wie es ist. 

Sie schreiben viele ihrer Songs mit Annette Humpe, die als Künstlerin die Achtziger stark geprägt hat. Wie passt das zusammen?
Das ist das Schöne an der Geschichte, wir haben unterschiedliche Zugänge zur Musik. Ich grätsche stilistisch von der Weimarer Republik in die Gegenwart, sie Achim Hagemann und etwa Peter Plate, mit denen ich viel produziere, kommen ganz woanders her. Was uns gelingt, ist nur in diesen Kooperationen möglich. 

Können Sie anderen wilden Zeiten Berlins, etwa als Bowie und Iggy Pop hier lebten, auch etwas abgewinnen?
Ich bin 1985 nach Berlin gekommen und fühlte mich als der glücklichste Mensch der Welt. Ich war 20, hatte eine eigene Wohnung und habe die Berliner Clubs – von Dschungel bis Tresor – ausführlich genossen. Und Berlin tut uns den Gefallen, nie langweilig zu werden.

Max Raabe: "Ein gestärktes Hemd wirkt auch nach innen"

Wie sind Sie damals in den Clubs aufgetaucht, etwa auch im Smoking?
Ha, ich trug auch im Technoclub Sakko. Aber zugegebenermaßen keine Krawatte.

Ist es ein Verlust, dass die Männer heute kaum noch Krawatte oder gar einen Frack tragen?
Ich bin in der Sekunde, wenn ich meinen Smoking anziehe, in meiner Rolle. Und das hat etwas mit Haltung zu tun, die diese Kleidung verleiht. Ein gestärktes Hemd wirkt auch nach innen. Man darf es aber nicht zu ernst nehmen, der Frack funktioniert nur, wenn man in all der Eleganz auch Blödsinn macht und sagt.

Welche Zeit war für sie die beste in Berlin?
Naja, schon die Wende. Ich habe Bariton studiert, und hatte mit Freunden an der Premiere der Henze-Oper "Das Ende einer Welt" am 9. November 1989 mitgewirkt, währenddessen die Mauer fiel. Diese Stimmung, diese Euphorie war unvergleichbar. 

Ich gehe davon aus, dass "Wind Of Change" nicht ihre favorisierte Wende-Hymne ist. Welche dann?

Schwierige Frage, ich würde sagen "Die Winterreise". Darin heißt es "fremd bin ich eingezogen, fremd ziehe ich wieder aus". Das passt. 

In den 1920er- und 3190er-Jahren sollten die Chansons und Schlager vom tristen Alltag ablenken, welche Aufgabe erfüllen die Ihren heute?
Dieselbe – wer in meine Konzerte kommt, soll spätestens nach dem zweiten Lied vergessen haben, dass er draußen im Halteverbot steht. Die Lieder von damals spiegelten nicht die harte Realität wider, das tut aber die Popmusik von heute aber auch nicht. 

Wenn es keine Geburtstagssause ist, worin besteht Ihr schönster Moment im Leben?
Sommer, ein Garten, eine Hängematte, ein See. Das ist mein höchstes Glück.

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