Wenn man eine Definition des Begriffs "Text-Bild-Schere" sucht, wird man im Video von Theresa Pilsl fündig. Die Opernsängerin steht im grünen Kleid vor einem Klavier, an dem ein Pianist in schickem Hemd sitzt. Mit viel Gefühl schmettert sie ein Lied, dessen Text so überhaupt nicht in die Atmosphäre passen will. Es ist der Ballermann-Klassiker "Geh mal Bier holen" von Mickie Krause.
Normalerweise grölen Tausende Betrunkene auf der Partymeile Mallorcas den Song. Diesmal ist es Pilsl, zuletzt an der Oper in Leipzig als Leonora in "Maskarade" von Carl Nielsen zu hören, die das Lied ganz neu interpretiert, begleitet von Daniel Gerzenberg. Es ist nicht das einzige Video dieser Art: Der Komponist, Jazzpianist und Dozent Simon Mack hat auch einige andere, ähnlich kuriose Versionen von Ballermann-Hits hochgeladen.
Ballermann im Opernstil – oder andersrum
"Auch Ballermann ist Hochkultur", schreibt Mack dazu auf seiner Website. "Goethe, Eichendorff und Rilke sind tot. Die großen Poeten der Gegenwart heißen Ingo ohne Flamingo, Ikke Hüftgold und Mickie Krause", so meint er. Mit seinen Projekten will er zeigen, dass klassische Musik nichts sei, "was völlig humorlos auf dem Thron stehen muss und was mit unserer Lebenswelt nichts zu tun hat", sagte Mack "Deutschlandfunk Kultur".
Aus dem Ballermann-Hit "Saufen" hat Mack beispielsweise schon vor einem Jahr eine Bach-Kantate gemacht. Textprobe: "Saufen, morgens, mittags, abends ich will saufen / Der Hahn muss laufen / Morgens, mittags abends er muss laufen / Hauptsache Alkohol!" Auf Youtube wurde das Video schon mehr als eine Million Mal angeschaut, sogar die Noten dazu kann man bei ihm bestellen. Da würde sich Bach, der fromme Kantor aus dem 18. Jahrhundert, wohl im Grabe umdrehen. Original-Interpret Ingo ohne Flamingo hingegen freut sich über das, was aus seinem Werk geworden ist: "Die Idee ist einfach gut und gut umgesetzt", lobt er Mack.

Vom Feuilleton wird Mack mit etwas distinguierterer Wortwahl dafür gefeiert, "dem Text mit Mitteln des klassischen Formsatzes transzendente und seelische Dimensionen abzugewinnen", wie die "Berliner Zeitung" schreibt. Mack selbst fühlt sich so in die Texte hinein, wie das bei zwei Promille wohl nicht mehr geht. In "Geh mal Bier holen" mit der Zeile "Du wirst schon wieder hässlich" erkennt er "die überaus schmerzhafte Frage nach der Vergänglichkeit von Jugend, Schönheit und Liebe." So hat Mickie Krause wahrscheinlich noch nie darüber nachgedacht.