St. Etienne Heldentheater mit akustischer Erdung

Gleich in zwei verschiedenen Versionen veröffentlichen die britischen Pop-Stilisten St. Etienne ihr neues Album - und planen für die Zukunft die Erschließung ganz neuer Hörerkreise.

Ein neues Album von St. Etienne kommt immer dann, wenn man das britische Pop-Trio fast mal wieder vergessen hat. Ihre letzte CD veröffentlichten sie vor drei Jahren, "Finisterre" war das Comeback des St.-Etienne-Weichspül-Refrains ("Hey, do you wanna be - soft like me?"). Das neue Album heißt "Tales From The Turnpike House" und ist gerade in zwei verschiedenen Ausfertigungen erschienen: In der deutschen Version sind die 12 Songs enthalten, die den Kern des Projektes ausmachen - eine Geschichtensammlung über die Bewohner eines Londoner Wohnblocks. Für den englischen Markt wird diese Version mit dem Mini-Album "Up The Wooden Hills" gekoppelt, Teaser für eine im Herbst erscheinende CD mit Kinderliedern.

Prominente Gastbeiträge

"Turnpike House" ist mehr noch als der Vorgänger im Akustik-Gitarren-Sound geerdet, die Gastbeiträge von David Essex (Gesang) und Tony Rivers (Gesangs-Arrangements) sind ein Stück Heldentheater für die Connaisseure unter den St.-Etienne-Fans. Anscheinend war nichts leichter, als David Essex (Jahrgang 1947) für dieses Album zu gewinnen: "Ich rief ihn an und er schickte mir Demo Tapes", sagt Bob Stanley. Essex, Pop- und Musical-Star der 70er mit dem Monster-Hit "Rock On", übernimmt den Gesangspart an der Seite von Sarah Cracknell in "Relocate". "Bei Tony Rivers war es ganz ähnlich, ich traf ihn beim Brian-Wilson-Konzert, die Zusammenarbeit lief erstaunlich gut. Wir lieben seine Vokal-Arrangements auf Beach-Boys-Platten, aber er hat auch Background-Vocals für Queen, Cliff Richard und Pink Floyd gemacht. Wir konnten nicht ganz sicher sein, ob er verstand, was wir im Sinn hatten. Aber es hat perfekt geklappt."

Die beiden Musikjournalisten Bob Stanley und Pete Wiggs veröffentlichten ihre erste Single 1990: "Only Love Can Break Your Heart" war eine Neil-Young-Coverversion auf Beats, die wir heute vielleicht "big" nennen würden, und diese Konstellation verriet schon so ziemlich alles über das, was unter dem Namen St. Etienne folgen sollte. "Nothing Can Stop Us Now" 1991 wurde zum Beginn einer nachhaltigen Zusammenarbeit mit der Sängerin Sarah Cracknell, die St. Etienne jene Sound-Signatur bescherte, die den Songs noch fehlte. Referenz-Pop mit Engelsstimme.

Cinematisierung des Dancefloor

Ein paar Fachkenntnisse auf dem weiten Feld der Popmusik trugen immer schon zum tieferen Verständnis der Musik von St. Etienne bei. In der Amalgamierung und Neuordnung von Stilen machten ihre Songs oft erst Sinn. Die federleichten Pop-Melodien der Sixties begannen über den Beats der Club-Ära zu ventilieren, St. Etienne betrieben die erste offizielle Cinematisierung des Dancefloor. Und sie straften all die Musikjournalisten Lügen, die sagten, Musikjournalisten sollten lieber keine Band gründen. Sie gründeten eine, programmierten, produzierten, starteten Labels und arbeiteten als DJs, statt mit richtigen Instrumenten altbekannte Rockmusik zu spielen. Im Interview erzählen St. Etienne, wie es zu den zwei verschiedenen CD-Versionen kam:

Bob Stanley: "Wir wollten ein Album mit Kinderliedern machen, wir gingen zu unserer neuen Plattenfirma, sie meinten, hmmm..."

Sarah Cracknell: "Sie sagten, ja, sehr schön, aber das ist nun doch nicht die Platte, mit der man bei einer Plattenfirma anfangen sollte. Sie meinten also, macht eure Kinderlieder, aber zuerst liefert ihr uns ein richtiges Album ab."

Bob Stanley: "Jetzt haben wir beides gemacht, das ist ein sehr schöner Kompromiss. Zu CD 1 gab es schnell eine Idee. Ein Tag im Leben der Menschen eines ganz normalen Wohnblocks. Wir haben auf die Fassade des Wohnblocks geschaut und uns gefragt, was könnte dahinter passieren."

Wie fühlt es sich als Popmusiker an, wenn man gerade feststellen muss, dass eine neue Generation junger Bands die komplette Aufmerksamkeit im Brit-Pop auf sich zieht?

Bob Stanley: "Es ist schon verrückt, Bands wie Maximo Park und die Futureheads sind sehr stark von einer Musik beeinflusst, an die ihre Mitglieder sich unmöglich erinnern können, weil sie noch so jung sind. Wir nicht, wir erinnern uns genau."

Pete Wiggs: "Ich weiß noch, wie mir ältere Typen auf diesen Punk- und Wave-Konzerten in den frühen 80ern erzählten, dass sie das alles schon kennen würden aus den Sixties. Haben wir alles schon gesehen, hieß das dann. Ich dachte: Blöde alte Säcke. Und nun sind wir diejenigen, die das alles schon gehört und gesehen haben."

Frank Sawatzki/AP

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