Von 0 auf Platz 30 in die deutschen Singlecharts einzusteigen, ist durchaus bemerkenswert, wenn weder Casting und Imageberatung noch ein hochdotierter Fließbandsongwriter im Spiel sind. Sondern einfach nur vier Jungs und deren gemeinsame Leidenschaft für Musik. Nino, Thomas, Mathias und Angelo von Virginia Jetzt! wissen seit dieser Woche, wie das ist, eine Top40-Band zu sein. Ihre charmante Ballade "Ein ganzer Sommer" rotiert eifrig auf VIVA und MTV, den Videoclip hat - wie alle bisherigen Musikvideos der Band - "Nichts bereuen"-Regisseur Benjamin Quabeck gedreht.
1999 im südbrandenburgischen Elsterwerda gegründet, zog das Quartett ins große Berlin, um Indiepop mit deutschen Texten zu machen. Dies war jedoch nur ein Zwischenstopp auf dem Weg hin zu "einer Art von Popmusik, die ernsthaft ist und bei der man nicht im Refrain auf den Verzerrer treten muss, damit das Stück aufgeht", erklärt Pianist, Gitarrist und Songschreiber Thomas Dörschel. Die Band sei sich nach dem Entschluss, alte Mechanismen aufzugeben, im Proberaum zuweilen wie eine Horde Anfänger vorgekommen. Es lag nahe, den Nachfolger ihres 2003 erschienenen Debüts "Wer hat Angst vor Virginia Jetzt!" genau so zu nennen: "Anfänger".
Klavierballaden im Stil von Coldplay und Keane
Es gibt Menschen, die behaupten, man könne mit einem Loriot-Zitat alles Erdenkliche treffend kommentieren. Zum zweiten Album der Wahlberliner würde "Ein Klavier, ein Klavier!" durchaus passen. Dörschels Helden Randy Newman, Billy Joel und Ben Folds werden nicht nur still verehrt, sie haben den Pianoanteil auf "Anfänger" merklich in die Höhe getrieben. Die energetisch-motivierende Coldplay-Keane-Klavierhymne "Das ganz normale Leben" wirkt wie eine musikalische Solaranlage. Und das auch ohne Sonnenscheintext. "Diese Zeit hat keinen Namen und keine echten Ideale" - das Quartett traut sich, hinzusehen und zu benennen: "Echte Ideale sind solche, die man nicht aufgibt, weil man Kompromisse eingehen muss. Es geht generell einfach darum, etwas zu riskieren im Leben und sich nicht aus Bequemlichkeit treiben zu lassen."
Vielseitigkeit ist Trumpf
Virginia Jetzt! schaffen mit ihrem am 30. August erscheinenden Album den Sprung in die ernstzunehmende Pop-Liga: Da sind maßgeschneiderte Melodien und Nino Skrotzkis Stimme, die gleichermaßen nach Zuckerwatte und Autoscooter-Duell klingen kann. Da sind Arrangements, die das Übersetzen von textlichem Inhalt in musikalischen Ausdruck beherrschen. Songs, die berühren und vor allem eins sind - vielseitig. Bassist Mathias Hielscher verbeugt sich vor New Orders Peter Hook ("Liebeslieder"), relaxter Rhodes-Pop urlaubt im Refrain an der amerikanischen Westküste ("Hier zu sein"). "Spurlos verschwinden" könnte seinem Großformat nach auch aus dem Kreativlabor von U2 ausgebüxt sein und der Hidden Track "So viel mehr" überrascht im Swing-Gewand.
Im September reist die Band im Auftrag des Goethe-Institutes für ein paar Konzerte nach Russland, danach steht eine ausgedehnte Tour an, die Virginia Jetzt! auch nach Österreich und in die Schweiz führen wird. Vorher wird "Anfänger" die Vier aber mit großer Wahrscheinlichkeit in die deutschen Albumcharts führen. Und, viel wichtiger: in die Herzen der Menschen.