Schon bevor es richtig losgeht, ist der alte Harald Schmidt voll da: Den ersten Gag gibt es schon im Vorspann seiner neuen Late-Night-Show bei Sat.1. Und der geht direkt auf die Kosten der Kollegen. "Dieses Bild hat sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt", sagt Schmidt im betroffenen Günther-Jauch-Tonus in Anspielung auf dessen Talk-Premiere vom Sonntag. "Nach diesem 11. September ist nichts mehr wie zuvor in der deutschen Talklandschaft." Schmidt witzelt über die "Dust-Lady" Anne Will, die sich vom Sonntag auf den Mittwoch gerettet habe und sich in einem Einspieler bei Jauchs Anblick auf dem Fernseher übergibt. Tatsächlich ist seit dem 13. September bei Sat.1 alles so, wie es früher war. Harald Schmidt ist zurück. Der alte. Der gute.
Anders als Kollege Günther Jauch hatte Harald Schmidt in den zahlreichen Interviews vor seinem Comeback nicht tief gestapelt. Er wollte die größtmögliche Aufmerksamkeit, weil er wusste, dass er den großen Erwartungen gerecht werden würde. Und das, indem er einfach dort weitermachen würde, wo er vor acht Jahren bei Sat.1 aufgehört hat. Warum auch nicht? Klassisch, souverän, bissig: Die neue "Harald Schmidt Show" bietet keine großen Überraschungen. Schreibtisch, Backstein-Studio, Kölner Skyline, Zerlett - und ein Schmidt, der wieder Lust hat.
Schmidt pur - so soll es bleiben
Die Gags zu Beginn sind schnell und deftig. "Es ist so viel Neid in unserer Branche", höhnt Schmidt im schwarzen Dreiteiler mit roter Krawatte in Bezug auf Jauchs Premiere, "so viel Missgunst". Und teilt sofort weiter gegen den Kollegen aus, indem er anmerkt, dass dessen Talk sich von "Stern TV" unterscheiden würde, weil es in der ARD keine Tierbabys gibt, mit denen Jauch auf dem Teppich schmuse. Dieser Seitenhieb geht wohl vor allem in Richtung der ARD-Verantwortlichen. Schließlich fiel Schmidts Entscheidung für Sat.1 vor einem Jahr in die Zeit, in der absehbar wurde, dass sein alter Arbeitgeber mit Jauch mehr auf die Talkschiene als auf Comedy setzen würde. Auch Guttenberg ("In den USA lässt er... äh, will er ein Buch schreiben") und die Griechen müssen dran glauben. Letztere bekommen in Zeiten der Krise gleich einen Grund mehr geliefert, künftig Sat.1 einzuschalten: "Wir sind der Sender mit der größten Insolvenzkompetenz in Europa."
Schnell ist der erste Werbeblock da und der Abkehrer der Öffentlich-Rechtlichen geht völlig auf in seinem neuen Umfeld. "Wir leben von der Werbung. Ich kaufe alles, was sie da sehen", singt und groovt er zu Helmut Zerletts "Polk Salad Annie"-Version. Er ist der predigende Messias des Privatfernsehens: "Es sind geile tolle Produkte, die sie da sehen. Raus mit der Kohle mit vollen Händen, morgen kann es vielleicht schon zu spät sein."
Während im Ersten häufig Schmidts junges Team, wie zum Beispiel Katrin Bauerfeind, als Gag-Zulieferer zu sehen waren, fehlt von ihnen in der Comebackshow jede Spur. Es ist Schmidt pur. Und das ist gut so. Man hofft insgeheim, dass es so bleibt, auch wenn er sein Team zu Sat.1 mitgenommen hat.
Genialer Schlagabtausch mit Olli Dittrich
Schmidt ist am besten, wenn er allein auf der Bühne steht. Oder wenn er sich mit alten Weggefährten befeuert: Plötzlich steht Überraschungsgast Olli Dittrich im Studio und liefert sich einen derart genialen Schlagabtausch, dass man sich ihn als wiederkehrenden Sidekick in der Show wünscht. Alte Witze werden erzählt, schlechte Kalauer. Über Ballack, Erektionen... Während der Mesalliance mit Pocher hätte das so nicht funktioniert. Bei Schmidt und Dittrich ist es grandios. Als Schmidt nach einiger Zeit laut überlegt, ob es schlau ist, bei seinem Comeback zum alten Sender nur alte Witze zu erzählen lenkt Dittrich ein und zitiert Showmaster Rudi Carrell: "Man kann nach zehn Jahren einen Witz nochmal erzählen - die Leute haben das eh vergessen."
Spätestens als Pointen-Pate Schmidt den Kameras sein neues Feriendomizil in Wyk auf Föhr zeigt, indem er auf einer Landkarte auf den Oman tippt, während im Hintergrund unkommentiert ein Gaddafi-Double durch die Kulisse stolpert, wird klar, was man in den harmlosen ARD-Zeiten zu oft vermisst hat. "Wissen Sie warum ich immer noch so erfolgreich in meinem Job bin?", fragt Schmidt kurz, nachdem Mubarak - ebenfalls kommentarlos - auf einem Krankenbett durchs Bild geschoben wird. "Weil in meiner Show das Timing stimmt." Genauso ist es.
Zurück im passenden Umfeld
Das Gespräch mit Premierengast Hape Kerkeling zum Schluss der Sendung ist ein Selbstgänger - aber nicht weniger pointiert. Kerkeling kündigt als Anspielung auf die Spekulationen um seine "Wetten, dass..?"-Nachfolge am Ende der Sendung eine "große Überraschung" über eine "große Fernsehsendung" an. Auf Horst Schlemmers geflügelten Satz "Ich habe Rücken" entgegnet Talker Schmidt: "Ich habe wieder Vertrag - hoffentlich nicht zu kurz" - und man hofft, er möge Recht behalten. Am Ende löst Kerkeling auf, dass er zu Gast in der NDR-Talksendung "Tietjen und Hirschhausen" sein wird. Kein Kommentar also zu den Gerüchten, auch als Harald Schmidt fragt, ob sich sein Leben manchmal wie eine Außenwette anfühle, oder ob er im kommenden Jahr an einigen Samstagabenden noch Termine frei habe.
Ein souveräner Wiedereinstieg in den Nachtdienst für Harald Schmidt, der die Late-Night nicht neu erfindet - weil es nicht nötig ist. Sein Seitensprung ist belebend für seine alte Liebe Sat.1. Die alte Leidenschaft ist wieder da, die viagrale Wirkung des Senderwechsels schlägt an. Kein Wunder bei dem Programmumfeld, das Schmidt im Abspann ankündigt: "24 Stunden: Drunter und Drüber - Stellungswechsel im Pornoland". Dirty Harry und Sat.1 - das passt einfach zusammen.