"Eigentlich, da wollte ich heiraten", sagt die Frau im Brautkleid und schaut wie ein Welpe, den die Mama gerade aus dem Körbchen geschmissen hat, ohne dass der Kleine wüsste, was er denn angestellt hat. Man muss zuhause vorm Spiegel mal ausprobieren, tatsächlich so zu schauen: die Augen weit öffnen, den Mund ganz klein machen, die Brauen zusammenziehen und leicht mit den Lippen zittern, als würde man gleich ganz fü-hü-hürchterlich in Tränen ausbrechen. Dann merkt man nämlich, wie albern das aussieht. Und zwar nicht nur vorm Spiegel, sondern auch im Fernsehen. Bloß ist das dem Fernsehen egal.
In der neuen Sat.1-Telenovela "Schmetterlinge im Bauch" muss die Hauptprotagonistin Nelly Heldmann schon in der Pilotfolge so oft traurig-bescheuert gucken, dass man richtig Mitleid bekommt - allerdings eher mit Schauspielerin Alissa Jung, die lange dafür geübt haben muss. Jung spielt eine quirlige 26-Jährige, die ihren künftigen Ehemann fünf Minuten vor der Trauung beim Quickie mit der besten Freundin erwischt, kurzerhand mit der Schaufel niederschlägt, in den Hochzeitswagen steigt und reflexartig aus Bielefeld ins weitläufige Berlin düst, um dort ein neues Leben anzufangen. Im Brautkleid. Was auch sonst?
An der Tanke entdeckt das Mädchen aus der Kleinstadt die Stellenanzeige einer Fluglinie, die eine Servicemanagerin für ihre Lounge sucht, verirrt sich bei der Fahrt zum Flughafen aber aufs Rollfeld, wird von der Polizei in Handschellen abgeführt und anschließend in der Zelle vom freundlichen Chef der Airline persönlich abgeholt. Beim Vorstellungsgespräch versinkt Nelly vor Scham fast im Boden, als sie merkt, dass die zweite Geschäftsführerin dieselbe Frau ist, der sie zuvor beim Einparken das Kostümchen mit Matschspritzern versaut hat.
Süßer Blick statt künstlicher Fettpolster
Man kann nicht behaupten, bei Sat.1 hätten sie keinen Mut, wenn sie sich trauen, am Vorabend solche Geschichten zu zeigen. Aber vermutlich gab es einfach keine Alternative. Seit anderthalb Jahren funktioniert der Lisa-Plenske-Benachteiligungsblick in "Verliebt in Berlin" so gut, dass eine zweite Telenovela her musste, trotz des Pro-Sieben-Flops "Lotta in love", egal wie absurd die Story auch sein mag. In "Schmetterlinge im Bauch", das bereits die Merchandising-taugliche Abkürzung "SiB" verpasst bekommen hat, geht es wieder darum, dass eine junge Frau sich im Job durchkämpft und die Liebe ihres Lebens findet. Bloß muss Alissa Jung nicht wie Kollegin Alexandra Neldel künstliche Fettpolster tragen, sondern darf gleich von Anfang an total süß aussehen.
"Catch me if you can"-Light Ambiente
Mit "Schmetterlinge im Bauch", für das Sat.1 eigens die Telenovela-Firma Producers at Work mitgegründet hat, ist dem Sender etwas Unglaubliches gelungen: Er hat sich so gut selbst kopiert, dass man beim Zuschauen kaum merkt, nicht "Verliebt in Berlin" eingeschaltet zu haben. Zugegeben: "SiB" spielt nicht in der Modebranche, sondern auf einem - na ja: Flughafen, oder zumindest dem, was sich Kulissenbauer so einfallen lassen, wenn sie "Catch me if you can" zu kopieren versuchen, aber nur das Budget von "Raumschiff Enterprise" aus den 60ern haben. Und Nelly tritt gleich zu Anfang selbstsicherer auf als ihre Leidensgenossin Lisa. Das Prinzip, nach dem die Serie funktioniert, ist aber exakt dasselbe.
Zurechtgefönte Piloten und hektische Mütter
Die Charaktere sind einfach gestrickt: Da gibt es den intriganten Neider, der scharf auf Nellys Job ist, die naive Stewardess, den witzigen Flugkoordinator, den großzügigen Chef und seinen Bruder, den zurechtgefönten Piloten, der keine Liebschaft auslässt. In der Zuhause-Welt warten Nellys etwas hektische Mutter Carola (schön überdreht gespielt von April Hailer) und Nachbar Nils (Ex-"GZSZ"-Star Raphaël Vogt), der Möbeldesigner ist und ein so ein großes Herz hat, dass man am liebsten mal die Kammern nachzählen würde, und der erst noch seine spießige Verlobte - eine Unternehmensberaterin! - loswerden muss, bevor es zwischen ihm und Nelly knistern darf.
Kann "SiB" "Verliebt in Berlin" toppen?
Die ersten Blicke auf "SiB" lassen erahnen, dass es in den kommenden Wochen auch bei den Geschichten keine großen Überraschungen geben wird. Umso spannender ist es, wie die zweite Sat.1-Telenovela beim Publikum ankommt. Eigentlich kann man sich trotz aller Eindimensionalität nur schwer vorstellen, dass es schief geht, so eng wie "SiB" an "Verliebt in Berlin" angelehnt ist. Das allerdings würde bedeuten, dass die ARD demnächst Probleme bekäme. Die Sat.1-Schmetterlingsnovela läuft schließlich auf demselben Sendeplatz, auf dem die ARD seit dem Ende von "Berlin, Berlin" ziemlich herumexperimentiert.
Gerade lief die "Kriminovela" "Das Geheimnis meines Vaters" an, demnächst folgt "Zwei Engel für Armor" vom "Berlin, Berlin"-Macher David Safier, im nächsten Jahr gibt es neue Folgen von "Türkisch für Anfänger". Wenn die Zuschauer sich an Nelly und Nils auf Sat.1 gewöhnen, könnten es die ARD-Serien schwerer haben sich durchzusetzen. Dazu startet RTL in zwei Wochen die Soap "Alles was zählt" mit Tanja Szewczenko, die Zuschauer von Sat.1 abziehen soll - pünktlich zum Termin, an dem "Verliebt in Berlin" nach dem großen Lisa-Plenske-Finale mit dem neuen Hauptdarsteller Tim Sander in die Verlängerung geht.
Vorabendkitsch-Attacke auf allen Kanälen
Soviel Vorabendkitsch wie diesen Herbst gab es selten im deutschen Fernsehen, und dass alle neu gestarteten Serien das Jahr heil überstehen, kann man getrost ausschließen. Denn selbst fernsehsüchtige Fans werden es schwer haben, bei all dem Beziehungsdurcheinender in Zukunft noch den Durchblick zu behalten. Fast bräuchte man eine fleißige Lisa Plenske, die einem das alles koordiniert. Aber dafür ist es jetzt zu spät: In zwei Wochen ist die Dame schließlich verheiratet. Bis dahin hat hoffentlich auch Nelly aus "SiB" ihr Brautkleid wieder ausgezogen. Sonst kommen die Sat.1-Requisiteure noch in Bedrängnis.