Man kann nicht behaupten, dass sie beim NDR-Fernsehen in Hamburg kein Gespür dafür hätten, was sie ihrer Stammkundschaft schuldig sind. Vorrangig die Geschichten aus der Heimat sind's, derentwegen die Zuschauer ihrem Regionalfernsehen die Treue halten. Das Dritte im Norden erzählt von Land und Leuten, Mole und Deich, Elbe und Alster. Zu den ergreifendsten programmlichen Vorkommnissen der vergangenen Wochen zählen: ein Beitrag über einen 15-Jährigen, der Plattdeutsch lernt, weil er demnächst beim Ohnsorg-Theater mitspielen darf; eine Reportage über einen Hufschmied; und die Sendung "Pralle Euter, schöne Augen", die von einem Schönheits-Wettbewerb für Kühe berichtete.
Doch nützt das kundenfreundlichste Angebot wenig, wenn's keiner versteht. Was im Fall des NDR keineswegs einer etwaigen intellektuellen Überforderung der Zielgruppe geschuldet ist, sondern dem Einsatz von Akkordeon, Gitarre oder Synthesizer. Fast täglich, so ist aus dem Sender zu hören, beschwerten Zuschauer sich in Briefen und am Telefon über eine zu laute Hintergrundmusik, die ihnen das gesprochene Wort unverständlich mache. (An dieser Stelle sei erwähnt, dass der NDR-Zuschauer im Schnitt 62 Jahre alt ist.)
Entschlossen wie einst Helmut Schmidt
"Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden", heißt es schon bei Wilhelm Busch. Dennoch muss es für Frank Beckmann, seit anderthalb Jahren Fernsehdirektor des NDR, ein Schock gewesen sein, von der akustischen Kluft zwischen Sender und Empfänger zu erfahren. Zumal er es in seinem vorigen Job als Chef des Kinderkanals vergleichsweise selten mit schwerhörigen Zuschauern zu tun gehabt haben dürfte. Brennende Sorge jedenfalls spricht aus einer E-Mail, die er jüngst den Mitarbeitern der Programmdirektion zukommen ließ: "Mir ist es wichtig, dass wir für das NDR Fernsehen sofort handeln", schreibt er in einer Entschlossenheit, die an die zupackende Art erinnert, mit der 1962 der damalige Innensenator Helmut Schmidt der Hamburger Sturmflut Herr wurde.
"Die Vielzahl der Beschwerden zeigt", so Beckmann weiter, "dass unsere Zuschauer offensichtlich eine andere Wahrnehmung haben als viele von uns, die tagtäglich mit der Produktion von Beiträgen und Sendungen beschäftigt sind." Ferner seien die Endgeräte in vielen Haushalten nicht optimal eingestellt. "Dies führt häufig dazu, dass viele unserer Zuschauer nur noch mit der Fernbedienung in der Hand unsere Sendungen verfolgen. Statt entspannend zu wirken, wird der Fernsehabend anstrengend. Der betroffene Zuschauer fühlt sich bei uns nicht mehr wohl. Ein Zustand, auf den wir reagieren müssen."
Mehr 20er-Jahre-Stummfilme
Für den 20. Mai hat Krisenmanager Beckmann eine interne Informationsveranstaltung anberaumt zum Thema "Lautheit". In einem ersten Schritt wurden die Mitarbeiter von Schnitt und Ton bereits angewiesen, "durchgehend eine konsistente 'Lautheit' und Sprachverständlichkeit" zu gewährleisten. Doch was, wenn die Beschwerden der Zuschauer trotzdem nicht nachließen? Wie würden wir an Beckmanns Stelle handeln? Alle Sprecher und Reporter anhalten, ihre Texte künftig zu brüllen? Sämtliche Sendungen durchgehend untertiteln? Das Programm konsequent reduzieren auf Stummfilme aus den 20er Jahren, was den zusätzlichen Vorteil böte, dass die Mehrzahl der Stammseher sich zurückversetzt fühlte in ihre Jugend? Könnte man nicht die Kontrolleure der GEZ bitten, bei Hausbesuchen automatisch die Einstellung der Fernseher sowie, falls vorhanden, die Hörgeräte der Fernsehbesitzer zu kontrollieren?
In diesen bitteren Tagen könnte Frank Beckmann sich als Retter des Fernsehens im Norden erweisen, womit er sich ohne Zweifel für höhere Weihen empfehlen würde. Helmut Schmidt hat es nach seiner Hamburger Großtat bekanntlich erst zum Minister und später zum Kanzler gebracht.