Der Südafrikaner Allan Harvey hat einen Mann getötet, erschossen in der Nacht, so viel ist klar. Doch war es Notwehr, wie Harvey behauptet, oder Mord? Der Fall erregt in der neuen Netflix-Serie "Justice Served" großes Aufsehen, denn Harvey ist weiß und sein Opfer schwarz – Südafrika ist auch Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid noch gespalten. Über die Schuld des Täters muss nun eine Richterin befinden.
In dem Moment, in dem sie das Urteil verlesen will, stürmen die "Namoor", eine Gruppe von schwarzen Freiheitskämpfern, den Gerichtssaal. Es ist der Moment, in dem das Justizsystem auf den Kopf gestellt wird: Die Eindringlinge nehmen die Zuschauer, die Richterin und Harvey als Geiseln, sie streamen aus dem Gericht nach draußen und eröffnen ein Tribunal. Drinnen wird Harvey von dem Anführer Azania Maqoma vorgeführt, draußen soll das Volk abstimmen: Ist Harvey unschuldig oder ein Mörder, der hingerichtet werden soll?
Netflix-Serie "Justice Served": Wie kann Gerechtigkeit gelingen?
"Justice Served" heißt auf Deutsch so viel wie "der Gerechtigkeit wird Genüge getan" – aber wie genau das aussehen soll, kann und darf, ist das große Thema der Serie. Namoor-Anführer Maqoma will der Ungleichheit endgültig ein Ende machen, er möchte die Entscheidung in die Hände des Volkes legen, nachdem Politik und Justiz ihre Macht aus seiner Sicht nur missbraucht haben. Doch auch er selbst verfolgt mit seiner Aktion alles andere als uneigennützige Ziele, wie sich herausstellt.
Maqoma befindet sich selbst auf einem persönlichen Rachefeldzug, nicht nur gegen Harvey, mit dem ihn ein dunkles Kapitel aus der Vergangenheit verbindet. Auch seine Krieger verlieren mehr und mehr ihre eigentlichen Absichten aus den Augen. So eskaliert im Gericht die Situation zusehends, während draußen der Fall die Gesellschaft spaltet. Erbittert wird darüber gestritten, ob man wirklich über das Leben eines Menschen abstimmen darf, und ob die Namoor nun Helden oder Terroristen sind. Der Riss geht durch die Familien – auch für die Polizistin Mashaba, deren Tochter mit den Geiselnehmern sympathisiert.
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Die verwundete Seele Südafrikas
Die südafrikanische Serie nimmt deutliche Anleihen bei ähnlichen Formaten, zum Beispiel erinnern nicht nur die Masken der Eindringlinge an die Räuber aus "Haus des Geldes". Doch geht es hier nicht um Geld, sondern um etwas Größeres. Maqoma und seine Mitstreiter fordern die Verfassung heraus, sie glauben nicht mehr daran, dass unter den herrschenden Verhältnissen Gerechtigkeit überhaupt möglich ist, solange die Entscheidungen darüber in den Händen einer Elite liegen.

Neben dieser gesellschaftspolitischen Perspektive bietet "Justice Served" für europäische Zuschauer:innen einen Blick in die verwundete Seele Südafrikas und anderer afrikanischer Staaten. Die Verletzungen aus den Zeiten von Apartheid und Kolonisation sind noch lange nicht verheilt. Speziell in Südafrika existieren immer noch große Unterschiede zwischen Weißen und Schwarzen. Die Bevölkerung fühlt sich von Politik, Justiz und Wirtschaft ausgebeutet und missbraucht. Und wenn Schwarzen tatsächlich der Aufstieg gelingt, vergessen manche von ihnen schnell, wo sie herkommen, werden selbst korrupt. Zusammen mit einer packenden Erzählweise macht das diese Serie so sehenswert, dass man auch über die eine oder andere doch arg stereotypische Figur hinwegsehen kann.
Und wie lässt sich nun Gerechtigkeit erreichen? "Justice Served" bietet dafür ein paar Ansatzpunkte, ohne eine wirkliche Antwort zu nennen – und gibt ihren Zuschauer:innen damit eine Herausforderung mit, die über die sechs Folgen hinaus andauert.