Lassen Sie uns mit einem ernsten Thema beginnen: Wie geht es Horst?
Nett, dass Sie fragen. Nach seinem Herzinfarkt vorige Woche hat er sich halbwegs berappelt. Rehpinscher sind zäh.
Ihr Hund hat ja schon einiges durchgemacht.
Als meine Freundin ihn damals vorm Einschläfern bewahrte, hat sie ihm noch ein paar schöne Jahre versprochen. Er kam zu uns ohne Augen und ohne Eier, mit Arschbiss und Pilzen an den Ohren, Haarausfall und einem falsch operierten Bein. Aber mit einer Lebensfreude und Tapferkeit, die uns allen als Vorbild dienen sollte. Mein Leitspruch ist: "Sei ein Horst."
Beneiden Sie als Fernsehkritiker ihn zuweilen um seine Blindheit?
Nicht wirklich. Aber klar, er muss sich vieles von dem Elend nicht anschauen.
Zum Beispiel?
Die Anruf-Quizshows auf Neun Live: Ein Idiot steht vorm Flipchart, liest vier Stunden dieselbe vom Praktikanten draufgekrickelte Frage vor, und die Antworten sind so, dass die Zuschauer gar nicht drauf kommen können. Eindeutiger Betrug, aber keiner tut was dagegen. Oder diese Ausbeutungs- Doku-Soaps, "Schwiegertochter gesucht" oder "Bauer sucht Frau" oder die Freakshows mit den Kandidaten, die beim "DSDS"-Casting rausgeflogen sind. Da werden von RTL gnadenlos Menschen vorgeführt, die sich nicht wehren können und bei denen man sich fragt, ob die nicht eigentlich ins betreute Wohnen gehören.
"Kalkofes Mattscheibe"
dienstags,
23.15 Uhr, Pro Sieben
Immerhin bietet das Fernsehen diesen Menschen telefonische Lebenshilfe an.
Zum Beispiel bei Astro TV. Da sitzt so eine dicke Hessin mit langen schwarzen Haaren und macht Kontakte ins Jenseits. Es rufen Menschen an, denen es wirklich schlecht geht, und sie fragt: "Wen willst du sehen?" - "Die Großmutter." - "War die ein biss- chen älter, ein bisschen kleiner, graue Haare?" - "Ja, ja." - "Hm, die sehe ich, die ist bei mir, die ist schon länger tot, aber sie steht noch im Licht. Es geht ihr gut, sagt sie, und so wie sie sich das Jenseits vorgestellt hat, so isses auch, sagt sie." Die Zuschauerin weint und bezahlt dafür.
Keiner profitiert von dem Fernsehmüll so wie Sie. Sie sind das Ende der Verwertungskette…
Der gelbe Sack des deutschen Fernsehens.
Sie machen im Fernsehen das Fernsehen schlecht. Sie werden von Pro Sieben bezahlt und veralbern mit Vorliebe Sendungen von Pro Sieben. Sie sind ein Parasit.
Oh ja, das bin ich. Ein lustiger Pickel am Arsch der Unterhaltung.
Benutzt Pro Sieben Sie auch als Feigenblatt?
Auch eine schöne Vorstellung. Die sind eine ganze Zeit lang unten ohne rumgehüpft und hatten Spaß dabei, warum auch nicht, solange einen keiner abholt und ins Heim steckt. Die letzte "Mattscheiben"- Staffel ist drei Jahre her, die neue wurde mehrfach verschoben. Weil vorher einfach zu viel hochwertiges Qualitätsprogramm gesendet werden musste.
Dienstags zeigt Pro Sieben jetzt die Doku- Soap "Gülcan und Collien ziehen aufs Land" - zwei Girlies bewähren sich im Kuhstall. Hinterher wird Gülcan in "Kalkofes Mattscheibe" veräppelt. Geht man so mit Kollegen um?
Ich finde die Leute, die ich parodiere, ja nicht als Person scheiße oder spucke sie auf der Straße an. Es geht um ihre beruflichen Verbrechen. Oft sind es nur fehlgeleitete Menschen, die gar nicht wissen, was sie sich und anderen antun. Gülcan meint das bestimmt nicht böse.
Sprechen Sie nur aus, was die bei Pro Sieben über ihr eigenes Programm denken?
Beim Fernsehen gibt es kaum Leute, die gut finden, was sie selbst machen. Das gilt für alle Sender. Die meisten Redakteure reden sich ihre eigenen Untaten schön, die sagen dann: "Die Leute wollen das so."
Offenbar wollen die Leute auch wissen, wie es bei Sarah Connor und Marc Terenzi weitergeht. Nach der Hochzeits-Doku "Sarah & Mark in Love" zeigt Pro Sieben demnächst "Sarah & Mark crazy in Love".
Das gehört zu den Horrorformaten, die ich nicht begreife. Wen interessiert das Leben einer Delmenhorster Pseudo-Popprinzessin, die sich mit einem singenden B-Promi öffentlich verheiraten lässt? Und warum machen die das mit?
So bleibt man halt im Gespräch.
Ich glaube, die wollen einfach nur gemocht werden. Das ist ein Schrei nach Liebe.
Sie vergessen, wie viele Pseudo-Stars das Fernsehen vorm Abstieg rettet durch Engagements für Dschungelshow und Promi-Dinner.
Das Fernsehen als Hospiz. Bei den öffentlich- rechtlichen Sendern hat vor allem der MDR diese Funktion übernommen, das ist eine Art Gnadenhof für aussterbende Entertainer, wo man die Letzten ihrer Art noch ein bisschen singen und schunkeln lässt. Die müssen im Käfig ein wenig im Kreis laufen, und dann kommen die netten Omis mit ihren Enkeln und werfen Brot und Erdnüsse hinein. Da hat unser Horst noch mehr Lebensqualität.
Die ARD bemüht sich ja, von den Privaten zu lernen. Hat Bruce Darnell von "Germany‘s Next Topmodel" weggelockt und ihm eine eigene Sendung gegeben. Ein Riesenflop.
Ein wunderschönes Beispiel für die Unverschämtheit der Öffentlich-Rechtlichen und die Verbindung von Dummheit und Inkompetenz - eine sehr explosive Mischung. Da kommt die ARD auf die tolle Idee, auch endlich eine Styling-Show zu machen, weil das Thema auf allen anderen Sendern ja schon lange ausgelutscht ist. Nehmen Bruce, einen prima Nebendarsteller, geben dem eine eigene Sendung, blasen Unmengen unserer Kohle dafür raus und machen genau das Gleiche wie die Privaten - nur viel schlechter. Die ARD kann sich da wirklich nicht rausreden, sondern sollte sich einfach still schämen und statt GEZ-Spots jeden Abend eine Entschuldigung senden.
Was tun? Nur noch Arte schauen?
Kein Mensch guckt Arte, das ist ein Mythos. Wir haben ein Recht auf gute Unterhaltung auch auf anderen Sendern. Ich möchte am Abend was sehen, das Spaß macht, das mich in eine spannende Welt entführt. Ich bin ein großer Fan amerikanischer und englischer Serien, ich liebe "24", "Lost" und "Prison Break".
Klasse gemacht - schaltet in Deutschland aber kaum einer ein.
Der deutsche Zuschauer muss seit Jahren mit Richterin Salesch und Richter Hold leben, mit der "Sachsenklinik" und dem "Forsthaus Falkenau" - klar, dass er mit komplexen Serien wie "24" oder "Lost" erst einmal überfordert ist. Wer jeden Tag bei McDonald's isst, meckert im Sterne- Restaurant, dass die Portion zu klein ist, und fragt nach Maggi oder Ketchup.
Das einzige Kriterium ist doch die Quote.
Die Wurzel allen Übels. Jeder Sender tut, als würde sie tatsächlich existieren. Und nimmt sich wichtig, wenn eine Serie statt 5,12 Millionen Zuschauern mal 5,13 hat. Aber diese Quote gibt es nicht, es ist lediglich ein exakt gemessener Schätzwert. Es sind deutschlandweit 5600 Haushalte, die so eine Box haben; wenn die Besitzer auf den Knopf drücken, werden sie gezählt.
Diese Haushalte sind repräsentativ ausgewählt, das Ganze wird hochgerechnet auf einen statistischen Wert…
…und der gibt einem sehr viele hilfreiche Anhaltspunkte. Aber er zeigt keine reale Zahl, und es ist ein Messsystem, das einen großen Teil der Menschen ausschließt.
Altenheime, Krankenhäuser…
… Ausländer wurden bis vor Kurzem gar nicht erfasst, jetzt immerhin die deutschsprachigen EU-Ausländer. Es wird auch nicht gemessen, wenn Leute etwas aufzeichnen. Die Quote an sich ist sehr hilfreich und gibt nützliche Hinweise, aber wie sie im TV-Geschäft gelesen und interpretiert wird, ist komplett unlogisch.
So, Herr Kalkofe, sagen Sie bitte noch was Nettes über das deutsche Fernsehen. Sie haben 30 Sekunden Zeit, dalli, dalli.
Oh Gott - zehn Sekunden nachdenken… Ähm, ich freue mich, dass das deutsche Fernsehen noch immer lebt, dass es in seiner behäbigen Einfallslosigkeit so lange durchgehalten hat. Ich lobe die Vielfalt an Möglichkeiten, auch wenn sie nicht genutzt werden. Kopf hoch, durchhalten, vielleicht wird eines Tages noch mal was draus. Ich hab das deutsche Fernsehen trotz allem noch irgendwie lieb.