So manche Träne dürfte den Programmverantwortlichen von ProSieben in letzter Zeit über die Wangen gerollt sein. Da sendet man momentan mit "Switch Reloaded", "Dr. Psycho" oder "Queer as Folk" die innovativsten TV-Serien, und die Quoten liegen im Keller. Selbst die hochgelobte neue "Stromberg"-Staffel kann die Erwartungen nicht erfüllen - nach den ersten Folgen liegt der kahlköpfige Schmalspur-Macho unterm Senderdurchschnitt. Was ist los mit den deutschen Zuschauern? Lachen Sie wirklich nur über peinliche Travestie-Auftritte von Thomas Gottschalk bei "Wetten, dass...?", die Peter Alexander in "Charlies Tante" vor 50 Jahren schon mit mehr Esprit verkörpert hat?
Fakt ist, das im deutschen Fernsehen alle Sender auf Nummer sicher gehen. Was einmal erfolgreich ist, wird bis zum Erbrechen kopiert. Schnell geschnittene Profiler- und Pathologen-Abenteuer erfreuen sich größter Beliebtheit - irgendwann trauen sich auch hiesige Produzenten mit der ersten Staffel von "CSI Gelsenkirchen" in die Schlacht um Zuschauer. Dann wird so lange die Leiche seziert, bis nur noch der blanke Knochen übrig bleibt. Und der Zuschauer klebt trotzdem am Fernseher.
"Weeds" rüttelt bigotte Nation auf
Da scheint es geradezu ketzerisch, das der Münchner Sender ProSieben mit der neuen US-Serie "Weeds" auf ein Sujet setzt, dass schon in den USA für erhebliche Kontroversen sorgte. Der Quotenrenner des Bezahlsenders Showtime wurde besonders von den Konservativen an den Pranger gestellt. Die Selbstverständlichkeit des Rauschgiftkonsums bzw. des -handels, wie sie in der Serie dargestellt wird, rüttelte ein Teil der bigotten Nation auf. Sogar von einem versuchten Anstoß zur Legalisierung von Marihuana in den USA von Seiten der Filmindustrie war die Rede. Besonders verwerflich in den Augen der selbsternannten Moralhüter - die kiffenden Protagonisten tragen keine Rasta-Zöpfe, sondern sind geschniegelte Mittelständler mit tadellosen amerikanischen Wertvorstellungen.
Sogar der Stadtrat kifft
"Weeds" spielt in einem fiktiven idyllischen Vorort mit sauberen Vorgärten, großen Häusern und noch größeren Autos. Im Mittelpunkt steht Nancy Botwin (Mary-Louise Parker). Nach dem Tod ihres Mannes sucht sie einen Ausweg aus ihrer finanziellen Krise und beginnt, Marihuana in der Nachbarschaft zu verticken. Natürlich sollen ihre beiden Kinder sowie die beste Freundin Celia (Elizabeth Perkins) nichts davon erfahren. Das ist allerdings gar nicht so einfach, kaufen doch sämtliche Nachbarn bei Nancy ein. Zum Auftakt der Serie schreckt Nancy noch nicht einmal davor zurück den Stoff an den kiffenden Stadtrat zu verticken - und das während des Fußballspiels ihres Sprösslings.
Heldin mit 68er Touch ist Gefangene im Spießer-System
Doch so glatt wie die frisch gestraffte Haut der Vorstädter läuft Nancys Handel auch nicht, denn es gibt Probleme mit der jugendlichen Konkurrenz. Dem Teenager, dessen ältere Kundschaft sie übernommen hat, will sie mal eben verbieten, seinen Stoff an die Kids auf dem Spielplatz zu verkaufen. Den Jungdealer kann sie erst aus dem Weg räumen, als sie droht, seine homosexuellen Neigungen an die Eltern zu verraten. Auch die vermeintliche Heldin mit 68er Touch entpuppt sich letztlich als Gefangene im Spießer-System.
Schmutzige Dialoge aus sauberen Damen-Mündern
Wer nun denkt, es kreist zum Beat von Reggae ständig der Joint, liegt trotz des suggestiven Titels "Weeds" (auf Deutsch: Gras) falsch. Die Mischung aus "Grasgeflüster", "Desperate Housewives" und "American Beauty" parodiert mit viel Witz und teilweise derben Dialogen das nicht ganz so perfekte amerikanische Vorstadtleben. In erster Linie geht es in der Tragikomödie um Eifersucht, Kontrollverlust und, natürlich, Liebe. Da vögelt der Ehemann die Tennislehrerin, die Mutter kontrolliert das Leben ihrer Tochter mittels eingebauter Kamera in einem rosa Teddy und pumpt die kleine Tochter voller Abführmittel, nur weil sie ein wenig weiblich geraten ist. Überhaupt kommen aus den sauberen Mündern der Damen ziemlich schmutzige Dialoge - zum Vergnügen der Zuschauer.
Der Neuling unter den Serien macht zwar nicht beim ersten Mal süchtig, aber zumindest Appetit auf mehr. In den USA läuft die Serie seit September 2005 erfolgreich und ist nicht nur Zuschauer-, sondern auch Kritikerliebling. Bleibt zu hoffen, das sich auch bei uns genug "Süchtige" vor dem Fernseher versammeln, um ProSieben mal wieder einen Quotenrenner zu verschaffen.
"Weeds" läuft immer Mittwochs, 22.15 Uhr auf ProSieben.