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"Tatort"-Kritik "Kottan ermittelt" im Münsterland

Ein Beerdigungsunternehmer, der mit einem Kerzenständer erschlagen wird, und Gruftis, die sich auf dem Friedhof treffen. Der Münsteraner "Tatort" ist morbid im Thema, aber lebendig in der Umsetzung. Gerichtsmediziner Boerne betätigt sich als Möchte-Gern-Casanova, Kommissar Thiel als verhinderter Urlauber.
Von Kathrin Buchner

Seit fünf Jahren sind die beiden ein Team, der behäbig bodenständige Kommissar-Kauz Frank Thiel (Axel Prahl) und der schlaumeiernd-bildungsbürgerliche Gerichtsmediziner Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers). Dazu gesellen sich eine Zwergin als rechte Hand von Boerne in der Leichenhalle, eine kettenrauchende Staatsanwältin mit männlicher Stimmlage, die ihre Aggressionen beim Boxen abreagiert und sich dabei ein Schleudertrauma zuzieht, ein taxifahrender Alt-Hippie als Kommissar-Vater. Ein schrägeres Ensemble als das in Münster hat kein anderer "Tatort" zu bieten.

Da passt es gut, dass ihr aktueller Fall mindestens genauso skurril ist, zumal der westfälische Krimi mehr vom knackigen Schlagabtausch von Kommissar-Kauz und Gerichtsmediziner-Schöngeist in bester Slapstick-Manier lebt als von akribischer Ermittlungsarbeit an komplizierten Mordfällen. So beginnt die "Tatort"-Folge "Ruhe sanft" mit einer unfreiwilligen Spritztour des Ermittlerduos im Leichenwagen und endet bei einem nächtlichen Showdown auf dem Friedhof.

Dazwischen sind jede Menge absurder Anekdoten und Charaktere untergebracht: jugendliche Anhänger der Gothic-Bewegung, die aussehen wie Bill Kaulitz von Tokio Hotel mit schwarz gefärbten Haaren, weißgeschminkten Gesichtern und meterweise Kajal um die Augen. Sie zelebrieren nachts Dichterlesungen auf dem Friedhof und rezitieren dabei Gedichte der münsterländischen Poetin Annette von Droste-Hülshoff, sehr zur Freude von Schöngeist Boerne, womit man der regionalen Anbindung des "Tatorts" ganz nebenbei gerecht wird.

In der Leichenhalle der Münster Polizei legt ein Unbekannter nachts eine Lilie auf einen toten Körper. Rechtsmediziner Boerne interessiert das allerdings wenig. Er macht sich wichtig mit der Organisation eines Rechtsmediziner-Kongresses und betätigt sich mit glatt-gegeltem Haar und in feinstem Zwirn als leidenschaftlicher Casanova bei einer österreichischen Berufskollegin. Die liegt irgendwann mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne seiner Wohnung.

War da noch was? Ach ja, ein Mordfall. Ein Bestattungsunternehmer wurde mit einem Kerzenhalter erschlagen. Verdächtige gibt es wenig, außer dem Bruder des Toten, der eine Affäre mit der Frau des Verstorbenen hat und dem durchgeknallten Grufti, dessen Hobby es ist, Leichen zu fotografieren. Der Täter ist dann der Orthopäde der Staatsanwältin, der in Afrika ein Krankenhaus für arme schwarze Kinder aufbaut, und dessen Tochter ebenfalls eine Vorliebe für schwarz pflegt, allerdings für schwarze Messen und Totenkult. Warum der Orthopäde, der schon zwei seiner Frauen um die Ecke gebracht hat, wiederum den Bestattungsunternehmer tötet, hat man als Zuschauer sofort wieder vergessen.

Der Titel ist also Programm, "Ruhe sanft" ist spannungsarm und trotz der Friedhofszenen kein bisschen gruselig. Dafür schaffen es Axel Prahl und Jan Josef Liefers dank der spritzigen Dialoge lässig, 90 Minuten anregend zu füllen.

Am Ende fährt Thiel mit Boerne mit dem Motorrad durchs Münsterland, Boerne ist per Handschellen im Beiwagen angekettet - eine Reminiszenz an die legendäre Wiener Krimiserie "Kottan ermittelt". Da sind die Charaktere noch ein wenig skurriler, die Slapstick-Elemente noch ein wenig ausgeprägter, die Running Gags konsequenter und des Kommissars Frau fährt gerne mit Mutter im Beiwagen durch Wien.

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