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"Tatort"-Kritik Märchenland ist abgebrannt

Ein Mörder, der sein Geständnis widerruft, ein Scharfschütze, der einen Unschuldigen abknallt, ein Richter, der bedroht wird. Die "Tatort"-Folge "Macht der Angst" ist ein Psychothriller in bester Hollywoodmanier mit Suspense-Effekten, Hinterhalten und einem aufwühlenden Thema: Pädophilie und Kinderpornos.
Von Kathrin Buchner

Er ist der kauzigste unter den "Tatort"-Kommissaren: Axel Milberg in der Rolle des Kieler Kommissars Klaus Borowski. Ein übereifriger, therapiebedürftiger Sturkopf, der bei seinen Verhören an die Grenze des Erlaubten geht und zu allem Überfluss auch noch in seine Psychologin Frieda Jung (Maren Eggert) verliebt ist. Was er natürlich nicht eingesteht. Er hat einen Buckel, einen schlürfenden Gang und hängende Wangen. Typ verkniffener Beamter, ein Kopfmensch. Dementsprechend behäbig, aber hintergründig, aber ist auch sein Ermittlungsstil.

Die charakteristische Körperlichkeit Borowskis wirkt sich auf das Tempo der Kieler Drehbücher aus. Meistens. Nicht so bei "Macht der Angst". Die Schnelligkeit dieser "Tatort"-Folge ist beeindruckend, ja ungewöhnlich für die renommierte Krimireihe, deren Folgen erst gegen Ende Fahrt aufnehmen. Vorher werden Protagonisten und Vermittler gerne in allen ihren Facetten psychologisch ausgeleuchtet. "Macht der Angst" hat von Anfang an mächtig Dampf drauf. Und schöpft alles aus, was zum Repertoire eines Psychothrillers gehört. Der Regisseur wollte nach eigenen Angaben "richtig zur Sache" gehen. Florian Baxmeyer, 33, Studentenoscar-Gewinner und "Tatort"-Debütant, ist ganz offensichtlich von Hollywood-Thrillern beeindruckt.

Zu Beginn ballert ein Scharfschütze einen Passanten nieder. Blut spritzt auf seine Begleiterin. Es gibt Verfolgungsjagden und Begegnungen der dritten Art von Täter und Ermittler in der Tiefgarage. Das Hauptquartier des Kinderschänders befindet sich in einer verwitterten Bruchbude mit Himmelbett, rosa Stofftiere und Barbie-Puppen. Ein verwunschenes Märchenland für den pädophilen Familienvater, die Hölle für die minderjährigen Opfer. Borowski gerät gleich zweimal in lebensgefährliche Situationen, weil er im Alleingang ermittelt. Der Richter wird in bester Mafia-Manier mit dem toten Familienhund im Postpaket eingeschüchtert. Ein Scharfschütze darf ausgiebig übers Präzisionsschießen in Extremsituationen fabulieren. "Das Töten mit dieser Waffe wird zu einem rein technischen Vorgang", analysiert Borowski im Profiler-Jargon - CSI Kiel.

Die Geschichte ist unterhaltsam, extrem spannend und so inszeniert, dass sie sogar auf der großen Kinoleinwand funktioniert. Kunstvoll und elegant, gar nicht konstruiert, werden auch noch zwei völlig unterschiedliche Fälle verknüpft: Produktpiraterie in einer Logistik-Firma und die Kinderpädophilie eines Anwalts und Familienvaters, der einen Kinderschänder und Mörder verteidigt, der sein Geständnis vor Gericht widerruft. Und ganz nebenbei wird auch noch gezeigt, was es bedeuten kann, Richter zu sein, nämlich in der ständigen Gefahr zu leben, von Angeklagten bedroht zu werden. Ob das tatsächlich bundesrepublikanischem Justizalltag entspricht, mag dahingestellt sein.

Der Böse ist tot, die Welt in Ordnung

Am Ende ist die Welt in Ordnung wie selten in einem "Tatort". Der Böse ist gefasst, hat sich gleich selbst liquidiert. Es ist genug Beweismaterial übrig geblieben, um weiteren Kinderschändern auf die Spur zu kommen. Wie im Rausch ist der Krimi an einem vorbei geflogen, hat Gänsehaut erzeugt und den Puls flattern lassen. Zackig, knackig, dennoch - lange nicht so tiefgründig, ja quälend nachhaltig wie manch andere "Tatort"-Folge. Als Ausflug gelungen, auf Dauer keine Lösung.

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