Titelgeschichte Dominik von Rippentrop, 60

Dominik von Rippentrop vor seiner Kunstsammlung in seiner Schwabinger Wohnung.
Dominik von Rippentrop vor seiner Kunstsammlung in seiner Schwabinger Wohnung.
© Robert Brembeck
Der Enkel des NS-Reichsaußenministers will die richtigen Lehren aus dem Leben seines Großvaters ziehen.

Wenig deutet in Dominik von Ribbentrops Schwabinger Altbauwohnung auf seine Familiengeschichte hin. An den Wänden hängt moderne Kunst, Luftballon-Buchstaben vom letzten Fest, selbst erstellte Objekte. Der Unternehmer lebt offensichtlich bewusst im Hier und Heute. Erst in seinem Arbeitszimmer begegnet man in einem Archivalienbehälter mit alten Fotografien jenem Mann, der sein Leben mitgeprägt hat. Großvater Joachim von Ribbentrop, Reichsaußenminister der ­Nationalsozialisten. Man sieht ihn in NS-Uniform, mit Stalin, mit Hitler, spielend mit seinen Kindern.

"Ich habe natürlich früh realisiert, dass diese Epoche direkt mit unserer Familie zu tun hat, wobei mich die Behandlung dieser Zeit später im Geschichtsunterricht eher mit mehr Fragen als zuvor zurückließ", sagt Ribbentrop. "Schon damals beschloss ich, seinem Leben und seiner Zeit eines Tages nachzuspüren. Meine Familie hatte uns damals zu verdeutlichen versucht, dass er für sie der liebende Vater und Familienmensch war, den sie in Erinnerung haben." Die Schule war ausgerechnet das Jesuiten-Internat St. Blasien im Südschwarzwald, wo das Andenken an den von den Nazis ermordeten Pater Delp hochgehalten wurde. Unter den Mitschülern waren auch andere Familiennamen vertreten, die im Nationalsozialismus unterschiedliche Rollen gespielt hatten, etwa Stauffenberg und Schirach. "Das hat damals keine Rolle für uns gespielt, heute tausche ich mich gelegentlich darüber aus, wie Menschen meiner Generation mit einem solchen Erbe umgehen", sagt Ribbentrop. Kürzlich habe er zufällig den Sohn eines im Zuge der Nürnberger Prozesse hingerichteten NS-Verbrechers auf der Frankfurter Buchmesse getroffen: "Er fragte mich, ob es bei meinem Großvater auch so laut ­geknackt habe, als bei seiner Hinrichtung das Genick brach. Seltsam und ziemlich abstoßend fand ich das. Der arme alte Mann hat wohl noch keinen Frieden finden können."

Auf den Fotografien sieht man den NS-Verbrecher als liebevollen Familienmenschen
Auf den Fotografien sieht man den NS-Verbrecher als liebevollen Familienmenschen
© Robert Brembeck

Dominik von Ribbentrop kommt aus einer Familie, die zum ersten Mal im 14. Jahrhundert Erwähnung fand und einige bedeutende Militärs und Beamte hervorbrachte. In seiner groß-mütterlichen Linie stammt er vom Sektfabrikanten Otto Henkell ab. In den vergangenen 20 Jahren hat Ribbentrop selbst zwei Firmen aufgebaut. Während der Corona-Jahre entschloss er sich, sich dem Vorfahren und der Vergangenheit intensiver zu stellen und – zunächst nur für sich und seine Kinder, wie er sagt – ein Buch zu schreiben, wie er es selbst als Jugendlicher gern gelesen hätte. Der Entschluss für eine Veröffentlichung folgte erst, als er glaubte, Fehler der 20er- und 30er-Jahre in der aktuellen Politik wiederzuerkennen, als wieder ein Krieg in Europa ausbrach und die Politik der Mitteparteien zu einem Erstarken der Randparteien führte. "Offensichtlich", sagt Ribbentrop, "weil Politiker zu wenig aus unserer Geschichte lernen." Der Buchtitel "Verstehen. Kein Verständnis. Anmerkungen eines Enkels" ist programmatisch. Anders als die meisten NS-Verbrecher war Joachim von Ribbentrop ein Mann mit internationalen Kontakten und einer Karriere als Unternehmer im Ausland, polyglott, vermögend, im Besitz eines Hauses im noblen Berliner Stadtteil Dahlem mit Schwimmbecken und Tennisplatz: "Ich habe versucht nachzuvollziehen, welche Umstände dazu führten, dass sich ausgerechnet dieser mondäne Mann der Upperclass und auch ein Drittel der Deutschen einem Mann wie Hitler anschlossen. Und welche Mechanismen am Werk waren, dass sich eine derartige Katastrophe wie die Schoah entwickeln konnte."

Buch Ribbentrop
Das Buch "Verstehen. Kein Verständnis – Anmerkungen eines Enkels" ist im Verlag Westend erschienen 

Die Frage, die sich viele Nachfahren von NS-Tätern stellen, ob sich etwas davon an sie vererbt haben könnte, was die Großväter trieben, stellt er sich nicht. "Mich interessieren vielmehr die Gravitationswellen dieser Zeit, die auf unser Handeln bis heute Einfluss nehmen", so Ribbentrop. Während er an seinem Buch schrieb, traten die Corona-Maßnahmen in Kraft, "und man sah, wie schnell Grundrechte verhandelbar waren".

Wer wäre ich damals gewesen?

Sein Unbehagen mit der Rolle des Enkels ist zu spüren, wie auch damit, immer wieder ähnliche Fragen dazu hören zu müssen: "Ich bin zufällig der Enkel meines Großvaters. Ich bin zufällig auch Deutscher, wie wir alle hier in dem Land." Solche Sätze entfahren ihm dann. "Ich habe mich jetzt einmal intensiv damit auseinandergesetzt und ein Buch darüber geschrieben. Und das darf es jetzt auch damit gewesen sein. Weiter geht es im Leben." Dabei ist es nicht nur bei dem Buch geblieben. Er zeigt ein Spiegelobjekt, das er selbst entworfen hat. Der Betrachter sieht sich selbst, und wenn er genau hinschaut, erkennt man Zitate aus dem Buch und schließlich auch ein verfremdetes Hakenkreuz. Wieder die Konfrontation mit der Vergangenheit. Ribbentrop sagt: "Die Menschen sollen sich selbst ansehen und sich fragen: Wer wäre ich damals gewesen? Wie hätte ich gehandelt? Und wer bin ich heute?"

Die Beschäftigung mit der Geschichte habe seinen Blick für aktuelle Geschehnisse geschärft. Als er den vom Großvater ausverhandelten Nichtangriffspakt des Reichs mit Stalins Sowjetunion studierte, marschierte Russlands Armee in der Ukraine ein. Wäre das zu verhindern gewesen, hätte man die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine besser geschützt? Und natürlich ist da die Frage, wie mit dem Aufstieg der AfD umzugehen sei. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Großvaters habe aus ihm keinen Historiker gemacht, betont er, "und schon gar keinen Politiker. Aber die Zeit 1918 bis 1945 ist ein spannender Steinbruch an Erkenntnissen, wenn man denn verstehen will." Ob er eine Lehre aus dem Trip in die Familiengeschichte gezogen hat? "Vielleicht, dass rechts­extreme und auch linksextreme Kräfte eine Chance auf Erfolg ­haben, wenn die etablierten Mitteparteien versagen."

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