Vielleicht haben mich die vergangenen sechs Wochen empfindlicher gemacht. Isolation und Homeoffice legen den Verdacht nahe. Aber, ehrlich gesagt, fiel mir bereits am ersten Tag des Lockdowns auf, dass sich die Welt um mich herum in einer Hinsicht positiv verändert hatte. Es war so herrlich ruhig. Kein Flugverkehr am Himmel, nur vereinzelt Autos auf den Straßen und nahezu keine Fußgänger. Was mein Viertel einerseits wie eine Hollywood-Kulisse wirken ließ, hatte andererseits etwas sehr Faszinierendes.
Zunächst war ich wie versteinert: Kein Konzert, für das ich bereits Tickets hatte, würde stattfinden. Das Kino in meiner Straße hatte dichtgemacht. Kein Museum, kein Theater bot mehr Gelegenheit für Zerstreuung und Inspiration. Ich konnte meine Reisepläne vergessen und würde auf unabsehbare Zeit meine Familie nicht sehen. Wie sollte ich das aushalten?
Die Hausfrau in mir wachte auf
Nach ein paar Tagen spürte ich, dass das panische Gefühl nachließ, etwas zu verpassen. Der Grund dafür lag vermutlich an der gesamtgesellschaftlichen Zwangspause, in der niemand mehr am kulturellen Leben teilhaben konnte. Weil es einfach keins gab. Wir alle mussten auch andere Wege finden, mit unseren Familien zu kommunizieren, das hatte etwas Solidarisches und spendete Trost. Man richtete sich ein.
Ich begann, die Entschleunigung zu genießen. Der hausgemachte Freizeitstress wich dem Genuss, einfach irgendwas zu machen. Wie volle Altpapier- und Altkleidercontainer bezeugten war ich nicht die Einzige, die sich plötzlich ihrem Haushalt zuwandte, Schränke entmistete und an Stellen staubwischte, die augenscheinlich jahrelang ignoriert worden waren. Das hatte etwas Kontemplatives und mehr Platz im Kleiderschrank etwas sehr Befriedigendes. Dann begann ich, Bücher zu lesen, die ich schon vor Jahren gekauft und mit einem "Für später"-Gedanken ins Regal gestellt hatte. Später war früher gekommen, als die dafür anvisierte Zeit der Rente.

Draußen ist schon wieder die Hölle los
Zukunftsforscher sagen, nach Corona würde nichts mehr so, wie es vor Corona war. Leider irren sie sich. Einen ersten Eindruck davon erhielt ich am vergangenen Wochenende. Am Sonntag war schon wieder ebenso viel Verkehr auf den Straßen in meiner Umgebung wie früher. Beim Spaziergang durch den Hamburger Park Planten un Blomen zogen Scharen von Menschen an mir vorbei, bei weitem nicht nur in Zweiergruppen, sondern ganze Großfamilien. In den vergangenen Woche hat man sich auf dem Bürgersteig in die Augen gesehen und mit einem Lächeln geklärt, wer nach links und wer nach rechts ausweicht. Diese angenehme Form der Kommunikation ist jetzt schon Geschichte. Dabei sind wir noch lange nicht durch mit Corona.
Bei Instagram habe ich Bilder aus Berliner Parks gesehen, auf denen junge Leute waren, die in riesigen Gruppen auf der Wiese in der Sonne saßen, im Hamburger Schanzenpark sah es ähnlich aus. Die ersten Wiedereröffnungen scheinen geradezu eine Flucht aus der Quarantäne mit sich zu bringen.

Kann Corona uns nachhaltig beeinflussen?
Mir ist absolut bewusst, wie groß die Not insbesondere für Familien ist, die die Corona-Pandemie mit Kindern auf engem Raum verbringen mussten und nicht einmal auf den Spielplatz gehen konnten – und immer noch nicht können. In den Krankenhäusern werden Ärzte sogar dazu aufgefordert, auf Verletzungen bei Kindern zu achten, die durch häusliche Gewalt entstanden sein könnten. Corona fördert auch gesellschaftliche Abgründe ans Licht. Ich hoffe sehr, dass gerade für Familien bald wieder ein entspannteres Leben möglich sein wird.
Dennoch wünschte ich, dass etwas bleibt. Etwas mehr Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, etwas weniger Verkehr, etwas mehr Ruhe. Etwas mehr Gelassenheit und weniger von dem Gefühl, etwas zu verpassen. Etwas weniger Staub hinter den Büchern im Regal und der Platz im Kleiderschrank.