Corona-Maskenaffäre "Es wurde ohne Verstand Geld durch den Schornstein gejagt"

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Aufarbeitung der Corona-Pandemie
Aufarbeitung der Corona-Pandemie: Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn neben Prüfungsleiter Oliver Sivers und Sonderermittlerin Margaretha Sudhof
© Soeren Stache / DPA
Die Corona-Kommission des Bundestags beschäftigt sich mit Jens Spahns Maskengeschäften während der Pandemie. Laut wird es in einem Privatduell mit einer Grünen-Abgeordneten.

Wenn es um die Beschaffung von Masken in der Coronakrise geht, war Jens Spahn schon vieles. In der Pandemie war der damalige Gesundheitsminister der oberste Krisenmanager, der sich selbst um den Einkauf kümmerte. Später, als deutlich wurde, dass unter Spahns Verantwortung viel zu viele Masken viel zu teuer eingekauft wurden und mitunter dubiose Lieferanten mit Verbindungen in CDU und CSU von dicken Lieferverträgen profitierten, wurde er zum Verteidiger in eigener Sache. 

Eines aber war Spahn noch nie: ein Sachverständiger für dieses Thema. Aber so steht es auf dem Schild, hinter dem der Unionsfraktionschef an diesem Montag im Halbrund des Europasaals im Paul-Löbe-Haus Platz nimmt: "Spahn, Sachverständiger".

Spahn ist einer von sechs Experten, die die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Pandemie für ihre letzte Sitzung des Jahres eingeladen hat. Die Kommission, eingesetzt auf Initiative von Union und SPD, soll Lehren aus der Coronakrise zu Tage fördern. In dieser Anhörung geht es vor allem um die chaotische Beschaffung von Masken und anderer Schutzausrüstung im Frühjahr 2020. Ein Thema, für das Grüne und Linke gerne einen ganzen Untersuchungsausschuss einsetzen würden – für den im Bundestag aber die nötigen Stimmen fehlen, zumindest wenn man keine von der AfD haben will. Daher bleibt vorerst nur dieser eine Termin in der Enquete-Kommission.

Sonderbeauftragte kritisiert Prozessführung

Mittlerweile hat Spahn einige Routine darin, Fragen zu beantworten, warum er 5,8 Milliarden Masken für 5,9 Milliarden Euro beschaffen ließ, von denen mehr als zwei Drittel im Müll landeten oder bald landen. Auch im Parlament waren die Geschäfte häufiger schon Thema, etwa im Haushaltsausschuss, der nicht-öffentlich tagt. 

Doch bei seiner Aussage in der Enquete-Kommission gibt es eine Besonderheit: Zum ersten Mal trifft Spahn in öffentlicher Sitzung auf seine gefährlichsten Kritiker – auf Oliver Sievers vom Bundesrechnungshof, der seit 2021 in mehreren Berichten die "Überbeschaffung" von Masken monierte. Vor allem aber auf Margaretha Sudhof, die im Auftrag von Spahns Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) als Sonderbeauftragte die Maskengeschäfte akribisch untersucht hat

In ihrem Bericht attestierte die Ex-Staatssekretärin Spahn, den Maskeneinkauf trotz fehlender Expertise in seinem Ministerium aus Egoismus und politischem Ehrgeiz an sich gezogen und mit manchen Lieferanten mit Kontakten in die Union nachteilige Deals für den Bund geschlossen zu haben – was im Ergebnis zu einem "Drama in Milliardenhöhe" für die Steuerzahler geführt habe. 

Als Sudhofs Bericht in diesem Sommer öffentlich wurde, brachte dies den Unionsfraktionschef kräftig in die Bredouille. Im Haushaltsausschuss sprechen durfte die Ermittlungsbeauftragte aber nur hinter verschlossenen Türen. Zudem gab es Theater um die Aussagegenehmigung, die das Gesundheitsministerium der pensionierten Beamtin ausstellte.

Expertin kritisiert fehlende Transparenz nach der Corona-Pandemie

Nun, in der Enquete-Kommission, sitzt Sudhof direkt neben Spahn. Noch vor Spahn hat sie das Wort. Die Verwaltungsjuristin, die Mitglied der SPD ist, ist erkennbar bemüht, nicht auf den Ex-CDU-Minister persönlich zu zielen. Ihre Kritik richtet sich eher allgemein an die Adresse des Gesundheitsministeriums und seine heutige Leitung: Noch heute lägen viele Unterlagen zu den Maskengeschäften des Ministeriums bei einem privaten Dienstleister, was zu einer mangelnden Transparenz führe. 

Spahn wiederum greift auch als Sachverständiger auf die Erklärungen zurück, die er schon häufiger zur Verteidigung angeführt hat. Beobachter der Materie können sie inzwischen schon mitsprechen: Damals habe eine Ausnahmesituation bestanden, alle Welt habe Masken gewollt, auf dem Markt habe es "Wildwest"-Methoden gegeben, Flugzeuge mit Masken seien abgefangen worden. "Keiner im Ministerium" habe Masken beschaffen wollen, beteuert Spahn. Man habe selbst einkaufen müssen, weil über andere Beschaffungsbehörden etwa des Verteidigungsministeriums "nichts gekommen" sei. Grundsätzlich habe die Bundesregierung in der Krise alles gemeinsam entschieden.

Auch in den Fragerunden werden viele bekannte Argumente ausgetauscht. Abgeordnete der Union wollen von Sudhof wissen, warum sie Spahn für ihren Bericht denn nicht persönlich befragt habe – was diese damit begründet, Spahns Pressesprecher habe darauf verwiesen, dass Spahn sich ja schon in seinem Buch über die Pandemie auch zum Maskeneinkauf geäußert habe. 

Die AfD fragt nach, was der Ex-Minister über Erkenntnisse wisse, wonach das Virus aus einem chinesischen Labor stamme – was nichts mit dem Thema der Sitzung zu tun hat. Die SPD ist darauf bedacht, Fragen, die für den Fraktionschef des Koalitionspartners kritisch sein könnten, nur in sanfter Dosis zu stellen, aber zugleich Sudhof zu unterstützen. Und die Linke beißt sich an der Frage fest, welche Rolle Spahn dabei spielte, dass das Gesundheitsministerium bei einem speziellen Einkaufsverfahren, das Anlass für Dutzende Klagen bot, einen Festpreis von 4,50 Euro pro Maske gewährte.  

Spahn: "Verleumderische Mutmaßungen"

Laut wird es dagegen vor allem, wenn die Grünen mit Fragen an der Reihe sind. In der Maskenaffäre haben sich die Grünen als schärfste und lauteste Kritiker Spahns positioniert, zwischen ihrer Abgeordneten Paula Piechotta und dem Ex-Minister hat sich eine Art persönliches Duell entwickelt. Nun wirft Haushaltsexpertin Piechotta Spahn vor, mit seinen Einkaufsentscheidungen in der Pandemie seien viele Milliarden Euro "ohne Verstand Steuergeld durch den Schornstein gejagt" worden, sein Ministerium habe das Gefühl für Geld verloren, "Wuchermasken" eingekauft. 

Manche Unternehmen, die nicht die geforderten Leistungen gebracht hätten, hätten später vorteilhafte Vergleiche bekommen, stellt Piechotta fest. Zudem verhindere Spahns "unorthodoxe Kommunikation" etwa per WhatsApp oder über eine Mailadresse seines Bundestagsbüros, dass sich die Geschäfte vollständig überprüfen ließen. 

Spahn hält nicht minder scharf dagegen: Per WhatsApp habe er nur in einem oder zwei Fällen kommuniziert. Die Grünen hätten doch in der Pandemie die meisten Entscheidungen mitgetragen, die Kosten für die Masken hätten nur 1,5 Prozent aller Ausgaben des Bunds für den Kampf gegen das Coronavirus ausgemacht. 

Als Piechotta in der letzten Fragerunde wissen will, ob er sich bei den Verträgen mit Unternehmen mit guten Kontakten in die Union persönlich "bereichert" habe, verneint Spahn empört: Er habe Piechotta diese Frage schon im Haushaltsausschuss zweimal beantwortet, nun solle Schluss sein mit den "verleumderischen Mutmaßungen".

Dann, nach fast dreieinhalb Stunden, ist die Anhörung beendet. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass eine einmalige Sitzung einer Enquete-Kommission wenig beitragen kann, um die nun schon seit Jahren laufende Aufarbeitung der Maskengeschäfte weiterzubringen und die immer noch offenen Fragen zu Deals mit einigen Unternehmen zu klären – anders als womöglich ein Untersuchungsausschuss, der Unterlagen aus den Ministerien anfordern und eine Vielzahl von Zeugen befragen kann. Am Ende sind sich die geladenen Sachverständigen und die Abgeordneten nur in einem Punkt einig: Wenn es eine neue Pandemie gäbe, wäre Deutschland heute nicht besser vorbereitet als 2020.

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