Wo warst du am 7. Juli 1985? Für viele Menschen meiner Generation ist dieses Datum so einschneidend wie für ältere Semester die Apollo-11-Mission 1969. Das was sich an jenem Sonntag auf dem Centre Court in Wimbledon ereignete, war für uns fast so unglaublich wie Neil Armstrongs erste Schritte auf dem Mond.
Ein 17-jähriger Deutscher gewann das bedeutendste Tennisturnier der Welt – und ist der bis heute jüngste Wimbledonsieger. Mit seinem sensationellen Triumph löste Boris Becker in seiner Heimat einen gewaltigen Tennis-Boom aus.
Ich war damals 13 und gehörte zu den zigtausenden Jugendlichen, die ihre Fußballschuhe gegen weiße Sneaker eintauschten. Statt auf den Bolzplatz ging es nach der Schule direkt auf den Tenniscourt. Dort reckten wir nach erfolgreichen Ballwechseln die Becker-Faust und hechteten nach jedem Ball, als befänden wir uns wie unser Boris auf dem satten Grün Wimbledons anstatt auf einem splitterigen Ascheplatz.
Boris Becker begeisterte, solange er spielte
Die Liebe zu dem Leimener Tennisgott überdauerte den Sommer 85: Bis zu seinem letzten Profi-Match blieb ich sein Fan. Langweilig wurde es nie. Auf große Siege folgten bittere Niederlagen – vier seiner sieben Wimbledon-Finals verlor Becker. Aber er kam immer zurück. Gewann insgesamt sechs Grand-Slam-Turniere, holte drei Mal die ATP-Weltmeisterschaft und zwei Mal für Deutschland den Davis Cup.
Unvergessen, wie er 1987 in 6 Stunden und 21 Minuten John McEnroe bezwang und dabei auch dem feindlichen US-Publikum trotzte. Das Spiel ging als "Schlacht von Hartford" in die Geschichte ein. Es waren Partien wie diese, in denen Becker zu Überlebensgröße wuchs. Er verband unbändigen Siegeswillen mit kühlem Kopf und spielerischer Klasse - und spielte sich so in unsere Herzen. An einem guten Tag kriegte ihn niemand klein, nicht einmal 16.000 buhende Zuschauer.
Am 30. Juni 1999 beendeten Becker seine sportliche Karriere – der Tag markiert auch das langsame Absterben der Liebe zu meinem Idol. Denn nun trat der Promi und öffentliche Mensch Boris Becker in den Vordergrund und verdrängte den Sportler. Nach und nach zerstörte er vieles von dem, was er sich in den anderthalb Jahrzehnten zuvor aufgebaut hatte.
Das traurige Leben nach der Sportkarriere
Der 30. Juni verbindet diese beiden Leben miteinander: Nachmittags stand er noch auf dem Platz und versuchte die drohende Niederlage im Achtelfinale von Wimbledon abzuwehren, abends ereignete sich das, was Boulevardmedien später als "Besenkammer-Affäre" bezeichneten: Während seine Ehefrau Barbara im Hotelzimmer wartete, schwängerte Boris das Model Angela Ermakova.
Die Details dieses Ausrutschers wurden in sämtlichen Gazetten der Welt genüsslich ausgebreitet. Es war nur der Auftakt vieler peinlicher Berichte aus dem Leben des einstigen Tennis-Helden. Es folgten zwei Scheidungen, zahlreiche Beziehungen, Verlobungen und Trennungen. Dazu Berichte über sein Unvermögen in wirtschaftlichen Dingen bis hin zur Insolvenz.
Am schlimmsten war aber seine alberne Fehde mit Oliver Pocher, die 2013 in einer RTL-Show mündete, in der sich Boris Becker vor einem Millionenpublikum zum Vollhorst machte. Spätestens da war der Tiefpunkt erreicht, seither fühle ich als ehemaliger Fan gar nichts mehr.
Vor 40 Jahren gewann er Wimbledon: Das Leben des Boris Becker

Dass Boris Becker nichts aus seinem sportlichen Ruhm hat machen können, tut mir für ihn persönlich leid. Dennoch lässt mich das weitere Schicksal des 54-Jährigen eigentümlich kalt: Für mein Idol von damals empfinde ich schon lange nichts mehr.
Dass es einmal dazu kommt, das hätte ich mir im Leben nicht träumen lassen, an jenem 7. Juli 1985, als ich noch jung war, die Sonne schien – und sich ein 17-jähriger Deutscher zum König der Tenniswelt krönte. Gerne würde ich ihn so in Erinnerung behalten. Doch leider hat sich neben den strahlenden Sporthelden noch ein zweiter Boris Becker gestellt: ein feister Mann mit Fliegenklatschen am Kopf.