Das Verschwinden von Daniel Küblböck stimmt mich traurig und gibt mir zu denken. Damals war die erste Staffel DSDS etwas Besonderes. Als 16-Jährige hinterfragt man noch nicht viel, und so habe auch ich die Sendung wie halb Deutschland verfolgt. Dieser junge, schrille Typ hat sicher polarisiert. Aber er hatte uns allen eins voraus. Er war authentisch.
Von Authentizität ist 2018 nicht mehr viel zu sehen. Unter dem Hashtag #backtoreality wird ein deutsches Topmodel gefeiert. Auf Instagram zeigt sie sich regelmäßig ohne Make-up. Respekt, mutig! Dennoch sitzt sie – natürlich - im perfekten Licht. Pickel? Fältchen? Augenringe? Mal 'ne Delle? Von wirklicher Realität keine Spur. Nichts gegen sie. Sie kann auch nichts dafür, dass sie mit außergewöhnlicher Schönheit gesegnet wurde. Aber dass fehlendes Make-up schon Grund zum Feiern ist, zeigt, wie weit wir vom Echten abgedriftet sind.
Wir vergessen den Menschen hinter der "Person des öffentlichen Lebens"

Kolumne von Lilli Hollunder
Lilli Hollunder kommt aus Köln und steht seit ihrer Kindheit als Schauspielerin vor der Kamera, unter anderem für "Verbotene Liebe" und "Lindenstraße". 2016 hat sie den Fußball-Torwart René Adler geheiratet. Auf ihrem Blog "Little Hero" schreibt sie regelmäßig über ihren Alltag zwischen Schauspiel-Castings und Stadion-Tribüne. In ihren Texten betrachtet sie das Leben stets mit einem Augenzwinkern und nimmt sich dabei selbst nicht so ernst. Wir freuen uns, einige Artikel auch auf stern.de zu veröffentlichen.
Erfolgreiche Blogger präsentieren sich in Kleidung von den weltweit angesagtesten Designern. Klar, sie sind die neuen Werbetafeln. Outfits, die sich der Normalbürger niemals wird leisten können. Und überhaupt, wo ist da die Individualität, der Spiegel der eigenen Persönlichkeit? All das, was das Blogger-Business überhaupt erschaffen hat? Keine Spur davon.
Normalos werden hochgejubelt, über Nacht zu Stars. Einen Wimpernschlag später werden sie brutal fallen gelassen. Dass Menschen hinter diesen so genannten "Personen des öffentlichen Lebens" stecken, vergessen wir. Oder, es ist uns egal.
Unsere deutsche Nationalmannschaft landet in eigens gemieteten Privatjets. Das große Ziel nicht etwa die Titelverteidigung. Die eigene Vermarktung steht im Vordergrund, so scheint es für mich Laien.
Im Fernsehen laufen "Adam sucht Eva", "Love Island" und die hundertste Staffel "Der Bachelor". Softpornos zur Primetime. Ja, hatten sie jetzt eigentlich Sex? Fragen über Fragen.
Dazu sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Die Lauten und die Leisen. Eine Partei, die sich Angst und Unsicherheit der Menschen zunutze macht. Das ist irgendwie archaisch. Funktioniert aber offensichtlich immer noch.
Anders sein galt in unserer Familie immer als besonders
Ich war immer stolz darauf als Tochter einer türkischen Migrantin in diesem wundervollen, offenen Land aufzuwachsen. Meine Großeltern, hart arbeitende Gastarbeiter, die sofort Deutsch gelernt haben. Meine Mutter, eine Frau, die sich aus Normen und Zwängen rausgekämpft hat, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wir hatten sicher nie das einfachste Verhältnis. Aber wenn sie mir eins im Leben mitgegeben hat, dann, dass anders sein nicht bedeutet, am Ende alleine dazustehen. Anders sein galt in unserer Familie immer als besonders - besonders gut. Ich bin ihr sehr dankbar dafür.
Der Instagram-Knigge verbietet uns, unsere Fehler offenzulegen. Unsere wunderschönen Fehler. Wir alle eifern den Schönen und Erfolgreichen nach. Aber mal ehrlich, ist dieses Nacheifern nicht unfassbar anstrengend? Und ans Ziel gelangen wir sowieso nicht. Wie denn auch? Das meiste ist doch eh Facetune und Filter.
Daniel Küblböck hatte offenbar schwer damit zu kämpfen, in unserer Gesellschaft der sein zu können, der er sein wollte, der er wirklich war. Wir stecken Menschen in Schubladen, zeigen mit dem Finger auf sie und lachen laut. Der Flüchtling. Der Schwule. Der Hartzer. Hater, so weit das Auge reicht. Und wahrscheinlich steckt auch hinter jedem Hater ein verunsicherter Mensch, der nie sein konnte, was er vielleicht sein wollte. Jemand, der nie ernst genommen wurde, und sich nach Aufmerksamkeit sehnt.
Wir steuern in eine Richtung, die besorgniserregend ist
Irgendwie dachte ich, hätten wir das alles hinter uns. Wir liberalen, modernen Deutschen des 21. Jahrhunderts. Aber was weiß ich schon, bin ja nur die Spielerfrau. Wir steuern derzeit in eine Richtung, die verdammt besorgniserregend ist. Noch können wir bremsen und unseren Kindern Werte mitgeben, die wir alle meinen zu kennen aber nach denen keiner mehr lebt. Fragen wie: Was zählt im Leben? Worum geht es? Was ist es, das am Ende bleibt?
Klingt nach Floskeln? Und doch sind die Antworten so bedeutungsvoll und wegweisend für eine Gesellschaft, in der man sich gegenseitig respektiert. Eine Gesellschaft, die Anderssein und Vielfalt als Bereicherung sieht und ihr nicht mit Angst, sondern Neugier entgegentritt.
