Dree Hemingway ist nicht nur die Urenkelin des Literaturnobelpreisträgers Ernest, Tochter der Schauspielerin Mariel und Nichte des verstorbenen Models Margaux Hemingway. Die Dreißigjährige ist auch Schauspielerin ("Gefühlt Mitte 20") und Model für Marken wie Chanel, Valentino, Gucci. Als sie am Tag des Shootings für den stern in den New Yorker Fotostudios auftauchte, erkannte kaum jemand sie auf den ersten Blick wieder: In Vorbereitung auf ihre nächste Filmrolle ("Run with the Hunted") hatte sich die ehemalige Langhaarblondine ihre Haare rasiert. Der Fotografin Emma Summerton, die das Mode-Extra des stern inszenierte, passte die Stoppelfrisur genau ins Bild. Es sollte schließlich androgyn zugehen.

Ms Hemingway, in der Modefotografie verwischen die Geschlechtergrenzen.
So ist der Zeitgeist. Ich glaube daran, das jedes coole Mädchen ein halber Junge ist, wie man so sagt. Warum auch nicht? Frauen haben die Freiheit, zu machen, wonach ihnen der Sinn steht. Es ist wahnsinnig spannend, was sich gerade bei der Wahrnehmung von Geschlechterrollen tut. Als ich mir die Haare rasierte, war mir erst einmal zum Heulen zumute. Meine Haare haben mir immer Sicherheit gegeben, die blonde Mähne war meine Konstante, sie gehörte zu meiner Identität als Frau, der kleine Tick Weiblichkeit. Weil ich ansonsten eher jungenhaft bin, und mich auch so anziehe. Ich bin ja nicht mit großem Busen und Hintern geboren worden. Plötzlich entdecke ich Seiten an mir, die ich nicht kenne. Wie ich mich anziehe. Wie ich in der Öffentlichkeit auftrete.
Werden Sie jetzt anders behandelt?
Und ob! Ein paarmal wurde ich gefragt, ob ich mich eher als Mann oder als Frau sehe. Und manche Leute halten mich jetzt automatisch für lesbisch. Was mich überrascht, weil ich doch einer Generation angehöre, die eigentlich nicht jeden automatisch gleich in eine Schublade packt. Auf meinem Flug neulich von London nach Los Angeles glaubte die Crew, dass ich krebskrank sei. Die waren sehr, sehr nett zu mir und boten mir sogar ihr eigenes Essen an. Das war merkwürdig.
Wie reagieren die Männer?
Es ist interessant, dass ich mich manchmal unsicher fühle, weil ich vielleicht nicht mehr wie selbstverständlich als sexy oder schön betrachtet wahrgenommen werde. Und ich habe das Gefühl, dass ich jetzt auf andere Männer anziehend wirke. Es kommen eher die Künstler-Typen auf mich zu.

Hat sich die Welt der Models nach knapp einem Jahr #MeToo verändert?
Die Debatte hat viele Augen geöffnet, ganz bestimmt. Die Models können sich heute wehren, man hört ihnen zu. Andrerseits sollten wir nicht vergessen, dass wir nach wie vor in der einzigen Branche arbeiten, in der wir Frauen mehr verdienen als Männer. Und ich finde es ein bisschen schade, dass viele Männer nicht mehr wissen, wie sie sich Frauen nähern sollen. Ich habe nie etwas gegen einen guten Flirt gehabt.
Wer Sie als Model bucht, erwartet von Ihnen Körperlichkeit. Sie bewegen sich ständig vor der Kamera.
Als ich 17 war, zog ich aus in den Bergen Idahos nach New York, um eine Ballettausbildung zu machen. Eines Tages fragte ich meinen Lehrer, wie weit ich kommen würde, und er antworte: Du wirst nur im Chor tanzen. Aber immerhin habe ich gelernt mich zu bewegen.
War Ihr berühmter Name eher Vorteil oder Hindernis?
Er hat Interesse geweckt und Türen geöffnet. Aber ich musste dann natürlich auch liefern.
Haben Sie die Romane Ihres Großvaters gelesen?
Noch immer nicht alle. Mein Interesse wurde erst geweckt, als ich auf eine Biografie meiner Urgroßmutter Hadley gestoßen bin. Ihr Blick auf Ernest hat mich neugierig gemacht.
Vorher war er nur Pflichtlektüre?
In der Schule habe ich natürlich "Der Alte Mann und das Meer" lesen müssen. Na ja, und dann gehört Ernest am Ende eben doch zur Familie. Auch meine Mutter Mariel ist eine unglaublich inspirierende Person, aber zur gleiche Zeit ist sie eben meine Mutter und kann mir wahnsinnig auf die Nerven gehen. Sie war die, die mich abends nicht aus dem Haus gehen ließ, die mich dazu zwang, immer nur gesund zu essen. Sie hat den Organic-Food-Trend praktisch erfunden, statt Kartoffelchips musste ich Seetang-Snacks essen. Und weil es bei uns nur super gesundes Bio-Müsli zum Frühstück gab, habe ich mich bei meinen Freundinnen so gierig auf die zuckrigen Sachen gestürzt, dass die Eltern sich Sorgen machten: Oh, Gott, kriegt Dree zu Hause nichts zu Essen? Später, als es um Drogen ging, waren meine Eltern total anders drauf: Wenn du mal was ausprobieren willst, mach es ruhig, sagten sie mir, wir sind für dich da. Statt mit Alkohol und Drogen zu rebellieren, habe ich also Junk-Food in mich hineingeschaufelt.