Sechs Jahre hatte er mit den Medien und seinen Fans Verstecken gespielt. Sein Doppelleben zwischen kreischenden weiblichen Fans und Sex mit Männern endete im Juni 1999 mit einer einfachen Pressemitteilung: "Ich bin schwul und verliebt", erklärte Boyzone Sänger Stephen Gately darin. Dies sei der schwerste Schritt, den er je tun musste, fügte der damals 23-Jährige hinzu. "Ich weiß, dass diese Nachricht bei vielen unserer Fans wie eine Bombe einschlagen könnte. Ich hoffe, dass sie mich verstehen." Die Bombe zündete.
Das Outing in einer Boyband, in einer Welt von auf die Bühne geworfenen Mädchenslips und in Ohnmacht fallenden pubertierenden Teenies, war eine Sensation. "Schade, Mädchen! Er ist schwul", titelte die "Bild"-Zeitung und fragte: "Wie kann es ein Mädchen verkraften, wenn sein Idol nur Jungen liebt?" Offenbar besser, als Gately und sein Management das geahnt hatten.
Nur eine Woche nach der Pressemitteilung war die Band zu Gast in Hamburg. Bei ihrem Auftritt vor mehreren tausend Fans gab es statt Buh-Rufen Solidaritätsbekundungen mit dem schwulen Bandmitglied. "We still love you" war auf Plakaten zu lesen. Und das, obwohl der überwiegend bei weiblichen Fans umschwärmte Gately ihnen auch noch ein zweites Idol aus einer Boyband weggenommen hatte. Denn er war mit keinem Geringeren als Eloy de Jong von "Caught in the act" liiert.
Ihr schwules Doppelleben hatten die beiden Sänger perfekt organisiert. "Wenn ich einen Flug nahm", verriet Gately nach seinem Outing in Interviews "nahm Eloy einen etwas späteren. Verschiedene Flüge, verschiedene Autos, verschiedene Zeiten beim Einchecken im Hotel." Doch nicht nur von der Last der ständigen Heimlichtuerei war Gately mit einem Schlag befreit, sondern auch vor der Angst, seine Karriere könnte mit Bekanntwerden seiner Homosexualität auf dem Spiel stehen.
Die Band Boyzone war die irische Antwort auf die Boyband-Welle aus den USA und England. Wie die "New Kids on the Block" und "Take That" waren die Bandmitglieder bei einem Casting zusammengewürfelt worden. Das Konzept ging auf: Ronan Keating, Stephen Gately, Shane Lynch, Mikey Graham und Keith Duffy verkauften in den Neunzigerjahren mehr als zehn Millionen Platten. Zu ihren größten Erfolgen zählten außer "No Matter What" auch die Cover-Songs "Words" und "Father and Son".
Seit Gründung der Band 1993 setzte sich Gately mit dem Image als Mädchenschwarm selbst unter Druck. Aus Angst, weibliche Fans zu verlieren, spielte er den Hetero. Anders als oft behauptet, hatten ihn dazu nicht seine Manager gedrängt, sondern er sich selbst. Als er mit 17 zu Boyzone kam, habe er das als Riesenchance begriffen. Da habe er sich nicht die Karriere verbauen wollen. Dass ein Boybandmitglied schwul sein darf, galt bis dato als Tabu.
Sein Outing war ein Befreiungsschlag. Allerdings einer, zu dem er genötigt wurde. Ein ehemaliges Bandmitglied hatte versucht, ihn zu erpressen und gedroht, Details aus Gatelys Privatleben an die Presse zu geben. Gately kam ihm zuvor. Der mutige Schritt in die Öffentlichkeit machte ihn, wie er es selbst formulierte, "zu einem anderen Menschen". Der Junge aus einfachen irischen Verhältnissen war zum Mann geworden.
Dass sich die Jungsband "Boyzone" nur sechs Monate nach dem Outing auflöste, ist Ironie des Schicksals. Ihr Greatest-Hits-Album "By Request" war in Großbritannien über Wochen auf Platz eins der Album-Charts. Trotzdem machten sich Ermüdungserscheinungen breit. Es gab immer öfter Streit unter den Bandmitgliedern. Schließlich verkündete Boyzone Ende 1999, eine Pause machen zu wollen. Die Band löste sich auf. Ronan Keating feierte fortan als Solokünstler Erfolge, Stephen Gately tat sich in der ersten Zeit danach schwer. Nach seinem mäßig erfolgreichen Album "New Beginning" entdeckte Gately die Theaterbühne für sich und spielte erfolgreich mehrere Hauptrollen in Musicals im Londoner Westend. Auch privat wurde es um den einstigen Teenieschwarm ruhiger. Nachdem er sich 2002 von Eloy de Jong getrennt hatte, heiratete er im März 2006 seinen Freund Andrew Cowles. Erst mit dem viel umjubelten Comeback von "Boyzone" kehrte 2007 für Gately der Stress eines Popstars zurück. Die Band füllte wieder ganze Konzerthallen, für 2010 war ein neues Album geplant, außerdem arbeitete Gately an einem Kinderbuch. Doch dazu wird es nicht mehr kommen.
Gately starb am Samstag mit nur 33 Jahren in seinem Ferienhaus auf Mallorca unter noch ungeklärten Umständen. Eine Autopsie wurde bereits veranlasst. Viele Freunde und Musikgrößen reagierten geschockt auf die Todesnachricht. Sänger Elton John sagte, er sei fassungslos über die Tragödie. "Stephen war die liebenswürdigste, freundlichste Seele." Bandkollege Ronan Keating ist nach Angaben seines Sprechers "total am Boden zerstört". Er und die übrigen Bandmitglieder waren noch am Sonntag nach Mallorca gereist, um sich vor Ort zu informieren. Auf der Homepage zollte die Band ihrem verstorbenen Kollegen Respekt: "Wir lieben dich und werden dich vermissen."
Noch am Montag vergangener Woche hatte Gately die Preisverleihung der "Pride Of Britain"-Awards in London besucht. Mit der Auszeichnung werden Menschen für ihr couragiertes Verhalten in außergewöhnlichen Situationen geehrt, Leute wie du und ich, die mit ihrem stillen Wirken die Welt ein bisschen verändert haben. Zumindest im Musikbusiness kann Stephen Gately für sich in Anspruch nehmen, das getan zu haben. Er hat bewiesen, dass auch ein Schwuler Mädchenschwarm sein kann.