was-macht-eigentlich Jan Bruins

Der Rentner verlor durch die Feuerwerksexplosion am 13. Mai im niederländischen ENSCHEDE, bei der 22 Menschen starben und ein ganzes Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt wurde, sein Zuhause

Der Rentner verlor durch die Feuerwerksexplosion am 13. Mai im niederländischen ENSCHEDE, bei der 22 Menschen starben und ein ganzes Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt wurde, sein ZuhauseZur Person :

»WIR LEBEN IN GESCHENKTER ZEIT« -Jan, 79, und Tonij, 81, Bruins in ihrem neuen Häuschen in Enschede. Als Andenken an ihr altes Heim, das am 13. Mai zerstört wurde, blieb nur ein Aquarell, das Schwiegertochter Ans gemalt hat. Unten: Jan Bruins blutüberströmt wenige Stunden nach der Explosion der Feuerwerksfabrik

Wie geht es Ihnen?

Gemessen an den schrecklichen Umständen ist im Großen und Ganzen alles in Ordnung. Gesundheitlich kamen wir unversehrt davon. Dafür sind wir dankbar.

Trotzdem haben Sie viel verloren.

Gute 50 Jahre, die wir in der Walhofstraat zu Hause waren, wurden mit einem Schlag Vergangenheit. Zusammen haben wir mit Nachbarn gelacht, gefeiert, getrauert. Nun wohnen alle, die überlebten, über die Stadt verstreut. Das Vertraute ist weg, nur Erinnerungen existieren noch.

Sie fühlen sich entwurzelt?

Eher verfremdet. Wir wohnen in einem Seniorenhäuschen. Die frühere Nachbarschaft bestand aus Jung und Alt. Nun leben wir ungewollt zwischen Rentnern. Diese Situation hatten wir erst in etwa zehn Jahren geplant. Wir sind in eine andere Welt geschleudert worden.

Und der materielle Schaden?

Wir waren versichert. Für Haus, Grund und Boden erhielten wir den üblichen Marktpreis, ohne zu feilschen. Die neue Einrichtung, die Möbel, das Schlafzimmer, die Elektrogeräte, die Küche, das Bügelbrett, die Kleidung, alles ging aufs Konto der Assekuranz. Unbürokratisch, mit Kulanz. Sogar neue Aquarelle und Gemälde durften wir kaufen.

Im Portemonnaie schmerzt es also nicht?

Viel einschneidender fühlen wir den Verlust von all unseren persönlichen Gegenständen, den kleinen Sachen, die man im Leben so ansammelt. Nur eine antike Uhr und ein Foto meiner Frau habe ich heil aus dem Inferno retten können. Sonst ist alles Asche. Das tut weh.

Sie müssen jetzt kräftig Miete bezahlen, 1000 Mark im Monat, von einer bescheidenen Pension. Ihr früheres Eigenheim dagegen war inzwischen unbelastet.

Das stimmt. Experten müssen diesen Einkommens- und Kostenunterschied mal richtig hochrechnen. Aber es eilt nicht. Sie sollten zuerst die richtig schweren Notfälle lösen. Essen und Trinken tun wir wie vor der Tragödie. Wir kommen über die Runden.

Haben Sie Ihr Haus noch mal besucht?

Mit Sohn und Enkelsohn bin ich dort gewesen. Nur ein paar schräge Mauern ragten nach oben. Und es sah schon komisch aus, wie da der Kühlschrank fast unbeschädigt mittendrin stand. Als ich die Tür öffnete, war er bis zum Rand gefüllt mit den leckeren Häppchen, die wir für Muttertag gekauft hatten. Alles verschimmelt. Der Fernseher funktionierte auch noch. Den habe ich unter fünf Zentimeter dickem Zementstaub stehen lassen.

Sie versuchen, das ganze Drama ein wenig auf die leichte Schulter zu nehmen, stimmt das?

Sicher nicht. Manchmal fließen bei mir Tränen. Wenn ich plötzlich die Wucht der Detonation fühle, die Flammen vor mir sehe, sie lodern höre, dann habe ich wieder die schreckliche Angst, dass ich nicht überleben werde. Solche Bilder überfallen einen. Zum Beispiel, wenn ich am Katastrophengebiet vorbei radele. Ich meide die Gegend jedoch nicht. Das gehört zur Verarbeitung.

Und Ihre Frau Tonij?

Sie sah neulich im Fernsehen, wie ein Hochhaus gesprengt wurde. Das hat sie gewaltig schockiert.

Was halten Sie denn von der Rolle der Gemeinde? Die Kommune könnte wegen mangelnder Kontrolle vielleicht eine Mitschuld treffen.

Das sind Feststellungen im Nachhinein. Für Justiz und Juristen, die die Sachlage klären müssen. Uns bringt Klagen und Meckern nichts. Allerdings ärgere ich mich darüber, dass die Stadt uns nie über das Sprengstofflager informiert hat.

Und wie werden Sie mit dem Ärger über diese Nachlässigkeit fertig?

Meine Frau und ich möchten noch ein paar Jahre normal in Ruhe leben. Dazu passt kein Frust über die Frage, wem wir unser heutiges Schicksal zu verdanken haben. Wir wollen lieber hoffen, dass uns noch ein bisschen Zukunft bleibt. Wir leben sowieso in geschenkter Zeit. Denn wir hätten ja tot sein können.

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