Kira Plastinina Mit 16 am Ende der Träume

Von Stefanie Luxat
Ihr Vater, ein Russe, verdiente ein Vermögen mit Orangensaft - nun investiert er in seine Tochter: Kira Plastinina gilt als die jüngste Modedesignerin der Welt.

Kira, guck hierher!" - "Nein, jetzt komm bitte schnell hierhin!"- "Nein, hier!" - "Kiraaaa!" Bereits eine volle Stunde lang zieht von links die russische PR-Chefin immer wieder an Kira Plastininas leicht gebräuntem Ärmchen, von rechts die amerikanische PR-Chefin, und von vorn bohren die Italiener mit ihren Fragen. Kira Plastinina ist 16 Jahre jung, Russin und Modedesignerin. Heute, am letzten Tag der Mailänder Modewoche, darf sie hier zum ersten Mal ihre Kollektion präsentieren. Auf der Messe, wo Kira ihre Schau veranstaltet, ist noch kaum etwas los. Am Vortag strömten hier Hunderte Journalisten rein und raus, rannten Models von Show zu Show.

Ereignisreich, aber nicht stressig

Jetzt dreht sich die Aufregung nur noch um Kira Plastinina, die von ihren PR-Beratern, Stylisten und Bodyguards hinter den Kulissen der Modenschau vor einer Fotowand abgestellt wurde. Im Gerangel stupsen Kameras an die leicht knubbelige Nase des Mädchens, die Make-up-Frau will unbedingt noch eine der braunen Haarlocken umlegen, jetzt soll Kira aber bitte mal mit dem russischen Moderator vor der Kamera schmusen, der extra für die heimische Presse eingeflogen wurde. Kira schmust. Und sie lächelt und posiert und schaut noch mal schüchtern und erzählt mit leiser, weicher Stimme wahrscheinlich zum hundertsten Mal, dass sie normalerweise morgens zur Schule geht, auf dem Weg in ihr Büro die Hausaufgaben erledigt und dass sie zweimal pro Woche in einer Style-Sitzung ihrem vierköpfigen Design-Team sagt, welche Entwürfe "cool" und welche "zu erwachsen" seien.

Nein, nein, winkt sie schnell ab, ihr Leben komme ihr nicht stressig vor, auch wenn sie oft spätabends im Büro an ihrer Kleider-, Schuh- und Handtaschenkollektion oder ihrem Duft arbeite. Ihr Leben sei nur "sehr ereignisreich". Trotzdem wirkt Kira Plastinina vor der Fotowand, auf der zigmal ihr Name geschrieben steht, als wäre sie in diesem Moment gern vieles, nur nicht sie selbst. Zum Beispiel Paris Hilton - zumindest posiert sie gerade wie das amerikanische Starlet: Kinn nach unten, Rehblick leicht über die Schulter und Wimpernklimpern.

"Paris Hilton war immer so nett zu mir", erzählt sie der Pressemeute in fast akzentfreiem Englisch. Natürlich war Frau Hilton nett, zahlte Papa Plastinin ihr doch zwei Millionen Dollar, um sie dazu zu bringen, 2007 bei der ersten Modenschau seiner Tochter in Moskau vorbeizuschauen und im Fünf-Sekunden-Takt "That's hot" zu hauchen.

Die Werbemaschinerie läuft auf Hochtouren

Was Kira Plastinina in den vergangenen eineinhalb Jahren erlebte, hat wenig mit Mode, aber viel mit Marketing zu tun. Für das ihr Vater zuständig ist: Sergej Plastinin hat schon einmal ein gutes Geschäftsmodell erkannt, Anfang der Neunziger. Da tranken die Russen noch teuren Orangensaft. Bis Sergej Plastinin billiges Konzentrat, das er nach dem Mauerfall im Westen entdeckt hatte, auf den russischen Markt brachte. Unter einem Namen, der möglichst englisch klingen sollte: "Wimm-Bill-Dann" (frei nach Wimbledon). Mit dieser Idee wurde er sehr reich. Sein Vermögen wird auf mittlerweile 600 Millionen Dollar geschätzt. Einen erklecklichen Teil davon investiert er nun in das Modelabel seiner Tochter. Kira weiß, so glaubt er, was 15- bis 25-jährige Mädchen wollen.

Er selbst wiederum weiß, welches Produkt immer funktioniert: sein Wunderkind. Zu seinem Glück änderte Kira ihren Berufswunsch im Alter von 12 von Prinzessin zu Modedesignerin. Eine eigens beauftragte große Werbeagentur verbreitete in Russland die Geschichte von ihren tollen Modezeichnungen, ihrem bodenständigen Denken ("Jedes Mädchen soll sich meine Mode leisten können!") und von ihrem cleveren Vater. Was dem Teenager bereits im ersten Jahr einen Umsatz von umgerechnet 20 Millionen Dollar bescherte. Und aktuell 70 Shops in Russland, Kasachstan und der Ukraine.

Als wär's eine Art Oligarchensport: Roman Abramowitsch kaufte sich den Fußballverein FC Chelsea, Rustam Aksenenko den Löwenanteil der Modemarke Escada und Sergej Plastinin den Erfolg seiner Tochter.

Das Mailänder Theater um Kira weckt sogar die im Schminkraum schlafenden Models, die fast allesamt älter sind als die Designerin. Neugierig schleichen sie auf den Flur. Ob sie vor diesem Job von Kira gehört haben? "Äh, nee", antworten die meisten, und ein paar sagen: "Mir wurde erzählt, dass sie verrückte Mode macht." Ach ja, die Mode: mal im Stil der 80er Jahre (wildbunt gebatikte Jogginghosen, Shirts und Miniröcke), mal wie Raffaello-Werbung (weiße Cocktailkleider, bunte Maxikleider mit Bikini-Oberteilen). Auf vielen Kleidungsstücken sind viel zu große Schilder aufgenäht: "Size: Looks good on you." - "Purpose: To be a star." - "Result: You're a star."

Auf Eroberungstour

Als Inspirationsquellen nennt Kira Plastinina erstens die Mail, die ihr ein Mädchen schrieb: "Möge der hübscheste Schmetterling sich auf deine Hand setzen." Und zweitens: Malibu. Wo sie den Sommer verbrachte, um Amerika zu gewinnen. Eigens hierfür engagierte Sergej Plastinin ein Marketing- und Public-Relations-Team, das schon Hollywoodstars betreut haben soll. Zwei Mini-Berühmtheiten aus Teenagerserien wurden als Markenbotschafter engagiert. Kira lernte Wellenreiten und stellte die Clips bei YouTube ein. Das Ergebnis: insgesamt zwölf neue Shops in Los Angeles, Las Vegas und in New York. Sowie große Artikel im "New York Magazine", in der "Los Angeles Times" und der Modegazette "Women's Wear Daily". Amerika hatte neues Medienfutter und freute sich dementsprechend über Papas Wunderkind.

Vor Kurzem trat Kira als Stargast in der TV-Serie "America's Next Topmodel" auf. Ende September flimmerte bei MTV eine einstündige Dokumentation über ihr Leben in Amerika. Vielleicht will sie sogar in zwei Jahren hier Design studieren. "Wir werden sehen, wie es läuft." Sie nehme sehr ernst, was Vivienne Westwood ihr geraten habe: "Folge deinem Herzen!" Ob Kira Plastinina ein glückliches Mädchen ist? "Ich liebe, was ich tue", sagt sie. Ob sie schon mal von der "Golden Youth" gehört habe, der reichen, russischen Jugend, die von ihren Eltern zum Erfolg getrieben wird? "Ja, aber ich liebe, was ich tue."

Glücklich strahlend sieht man Kira Plastinina an diesem Tag nur für ein paar Sekunden: Als sie ihre Mutter kurz in den Arm nimmt und dann nach der Hand ihrer aus Österreich angereisten Freundin Yana Yashvili greift. Sie versucht sie mit sich zu ziehen - doch ihr PR-Team ist stärker, Kiras Mutter und die Freundin werden an den Rand gedrängt, sie nehmen den großen Lilienstrauß für Kira und setzen sich an den Laufsteg in die erste Reihe. Kira muss sich derweil schnell umziehen. Jetzt geht die offizielle Schau los. Und schon brüllt die Band Blink 182 aus den Boxen: "Let's make this last forever!" Als Kira Plastinina am Ende auf die Bühne tritt, wirkt sie wie eine Prinzessin, die sich verlaufen hat.

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