Es gab einmal ein Märchen, und das hieß: "Frauen lieben Abendkleider". Denn in prächtigen Roben würden sie zu Prinzessinnen und könnten nebenbei ihren Prinzen verführen.
Lieber Märchenonkel, das hast du dir schön ausgedacht, aber lass dir gesagt sein: Ja, wir ziehen diese Kleider an, um sie möglichst schnell wieder auszuziehen - doch nicht, weil wir Sex haben wollen, sondern weil uns Rückenschmerzen, Blasenentzündung oder schlicht Erschöpfung quälen. Hinzu kommt, dass sich meist entscheidende Körperteile weigern, in das Kleid mit einzusteigen. Oder sie machen sich plötzlich größer, als sie eigentlich sind. Oder sie rufen bestimmte Assoziationen beim Betrachter hervor. So sagte mein bester Freund Thomas zu einem von mir kürzlich erstandenen Kleid: "O Gott, darin siehst du aus wie eine mobile Milchbar!" Der hat leicht reden: Eine passende Abendrobe zu finden und darin die Nacht zu überstehen, ohne dass die mühsam hergestellte Glamour-Ausgabe von uns selbst zusammenfällt, ist für uns so schwierig, wie für Männer den Namen unseres liebsten Schuhmachers auszusprechen: Louboutin.
Allen, die das anders sehen, sei gesagt: Natürlich, es gibt Kleider, in denen man sich unwiderstehlich fühlt, doch sie zu finden verschlingt Zeit. Und Geld. Thomas erzählte, seine Schwester habe sich für ihren Abi-Ball ein Kleid gekauft wie jenes, das Katherine Heigl aus "Grey's Anatomy" bei den Oscars 2008 getragen hatte. Solche Kleider könne man im Internet oder in Hamburg, Berlin und bald auch in Köln kaufen. Die Ladenkette heiße "Morrywood's".
Sich wie ein Star fühlen
Eine Minute später strahlte mich auf dem Computerbildschirm Katherine Heigl in einem knallroten Traumkleid an. Neben ihrem Kopf stand in riesigen Lettern: "Morrywood's - Hier können Sie sich endlich mal wie ein Star fühlen!" Das Heigl-Kleid wurde für 280 Euro statt dramatisch durchgestrichener 6980 Euro angeboten, so viel zahlt man angeblich für das Original. Nicht nur Heigl, auch Angelina Jolie, Kate Hudson - die glamourösesten Hollywoodstars schienen mir aus ihren Traumkleidern zuzuflüstern: "Komm, mach mit, es ist so leicht, so toll wie wir auszusehen!" Dazu mahnte es in Großbuchstaben von der Website: Ich solle mich beeilen, die Modelle seien limitiert und schnell vergriffen.
Einen Tag später standen Thomas und ich auf dem roten Teppich von "Morrywood's" in Hamburg. Meine Euphorie verschwand, als ich die von Strasssteinen überwucherten Abendkleider sah - war ich vor Aufregung in einen türkischen Brautmodenladen gelaufen? Doch als ich die große Oscar-Statue und die Star-Kleider entdeckte, kam ich wieder in Wallung. In der Umkleidekabine stellte ich überrascht fest, dass die Passform nahezu perfekt war. Auch Farbton und Stoff wirkten nicht billig. Nur: Wie würde so ein Polyester-Kleid nach fünf Stunden Stehempfang riechen? "Da passiert nichts", beruhigte mich die Inhaberin Cindy Morawetz. Die 33-Jährige stammt aus Brandenburg an der Havel und arbeitete vor ihrer Geschäftsidee als Handy- und Autoverkäuferin. Sie sagt, sie sei schon immer ein großer Fan der glamourösen amerikanischen Feste gewesen und habe deshalb 2004 beschlossen, die Kleider der Stars so günstig wie möglich nach Deutschland zu bringen. Den Geschäftsnamen mixte sie aus "Hollywood" und "Morawetz".
Die Roben wählt sie anhand von Promi-Bildern aus, dann schickt sie die Vorlagen nach China und lässt sie dort in drei Wochen aus Polyester auf Durchschnittsfrauengrößen aufpumpen. Und da wird kein Designer böse? "Wir kopieren die Kleider ja nicht", behauptet sie. Viele Kunden freuten sich so sehr, dass Tränen flössen.
"Und?", fragte ich Thomas. - "Schick!", sagte er. "Aber halte dich fern von Zigaretten, sonst endest du als Schmorbraten."