Stilkritik Politikerinnen Raus aus den Tarnanzügen, Ladys!

  • von Claudia Charles
Auffallen? Bloß nicht! Man könnte meinen, es herrsche Uniformzwang im Bundestag, so lustlos und unscheinbar wie sich deutsche Politikerinnen kleiden. Doch wer regieren will, darf sich nicht im Tarnanzug verstecken.

"Er sieht einfach besser aus", erklärte Peer Steinbrück den Umstand, dass 60 Prozent der SPD-Wähler die Arbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg als außerordentlich positiv bewerten. Wie unrecht der Finanzminister mit seiner Analyse in der vergangenen Anne-Will-Sendung doch hatte: Guttenberg mag ein paar Jährchen jünger sein als Steinbrück - aber besser aussehen? Mitnichten. Der Bundeswirtschaftsminister zieht sich einfach besser an! Als einer der wenigen deutschen Politiker hat er erkannt, womit seine Kollegen hadern: Kleider machen Leute - und auch Politiker. Leider wissen das vor allem die deutschen Politikerinnen nicht.

Kleider machen Leute

Kürzlich fragte die Fachzeitschrift "Textilwirtschaft" Modehändler, welche deutschen Spitzenpolitiker am besten angezogen seien. Nach Guttenberg, Westerwelle und Köhler belegte von der Leyen Platz fünf, Merkel den siebten Platz - dann kam lange keine Frau mehr. Die Modeexperten kritisierten vor allem die langweiligen Outfits der Politiker, ihre schlecht sitzenden Anzüge, das kaum vorhandene Farbgefühl und die geschmacklosen Krawatten. Bis auf die Binder trifft jeder Kritikpunkt besonders auf die Damen zu. Ob Schmidt oder Schavan, Künast oder Nahles - betrachtet man die weiblichen Abgeordneten, könnte man meinen, es gebe eine Art Bundestagsuniform bestehend aus Bügelfaltenhose, Drei- oder Vierknopfblazer und Loafer. Als wäre Angela Merkel zum Stilvorbild avanciert.

Als sich Frank-Walter Steinmeiers Kompetenzteam mit elf Frauen erstmals der Presse präsentierte, wählten die Damen Outfits, deren Botschaft ausstrahlte: Auffallen? Bloß nicht! Hosenanzüge in grau oder beige, gelegentlich mal ein buntes Oberteil, nur drei Politikerinnen wagten sich in einen Rock, wobei das bodenlange Ungetüm von Carola Reimann auch keine vorteilhafte Ausnahme war.

Verhüllung weiblicher Attribute

Es ist verblüffend: Deutsche Politikerinnen fürchten Röcke und Kleider wie die FDP den Kündigungsschutz. Wann immer eine der Damen vor die Kameras tritt - sie trägt Hosen. Und schlecht sitzende Blazer noch dazu. Die Genossinnen verhüllen ihre weiblichen Attribute, als könnten sie dadurch männliche Kompetenz erlangen. "Die Kleidung weiblicher Politiker wird von Medien und Öffentlichkeit immer noch stärker interpretiert als die der Männer", sagt Elke Griese vom Deutschen Modeinstitut. "Der Hosenanzug dient ihnen als Rüstung und soll Deutungen erschweren." Zudem brauche es auch mehr Souveränität und Kompetenz, um auch in weiblicher Kleidung in einer Männerdomäne zu bestehen. Muss eine Politikerin gut aussehen? Nein. Aber in einer Zeit, wo politisches Einerlei herrscht, goutiert der Wähler jeden Versuch, hervorzustechen - und sei es optisch.

Dresscodes in der Politik

"Kleidung ist ein nonverbales Kommunikationsmittel und erzählt etwas über den Träger", sagt Griese. "Jeder Schuh und jede Krawatte senden eine Message aus. Deshalb versuchen viele Politikerinnen, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, wirken lieber konservativ und unmodern als zu aufdringlich." Klar gibt es in der Politik auch Dresscodes. Gabriele Pauli katapultierte sich mit ihrem Latex-Leder-Auftritt ins politische Abseits. Aber zwischen sexy Hexi und Kohls Mädchen liegt nicht etwa ein schmaler Grat, sondern ein weites Feld.

An den Kosten kann es nicht liegen: Dass man für eine perfekte Garderobe keine Designer-Anzüge braucht wie einst Gerhard Schröder, demonstriert derzeit Michelle Obama: Mit ihrer Mischung aus Stangenware und Haute-Couture hält sie die Balance zwischen Bürgernähe und Boutique. Und beweist, dass ein Streifenkleid von H&M durchaus wahlkampftauglich ist. "Da schöpfen deutsche Politikerinnen das Potential der Mode lange nicht aus", so Griese.

Dass Politik und Mode keine natürlichen Feinde sein müssen, demonstrieren eindrucksvoll unsere europäischen Nachbarn. Zwei Jahre lang zeigte sich Rachida Dati als französische Justizministerin in pinkfarbenen Etuikleidern, zehn Zentimeter Stilettos und Satin-Blusen von ihrer besten Seite. Nahm man sie deswegen weniger Ernst? Nicht im Geringsten. Spaniens Verteidigungsministerin Carme Chacón schritt hochschwanger im Hängerchen samt Schleife eine Militärparade ab - und das in einem höchst katholischen und konservativen Land. Und Julia Timoschenko prägte die ukrainische Politik nicht etwa wegen, sondern trotz ihrer modischen Versiertheit: Ihr aufwendig geflochtener Haarkranz und die Auswahl ihrer körperbetonten Kleider ließen ihr trotzdem noch genug Zeit, das Amt der Premierministerin auszuüben. Am radikalsten formulierte Argentiniens Präsidentin Christina Kirchner ihren Sinn fürs Äußerliche: "Nicht einmal ein Bombenangriff könnte mich morgens vom Schminken abhalten."

Ausnahmen bestätigen die Regel

Zwei Ausnahmen gibt es in der deutschen Politik: Claudia Roth, die mit ihrer Kleidung fast schon zu viel von sich erzählt. Ihre oft grünen Ensembles schreien geradezu: Ich bin individuell, nonkonformistisch - aber auch schrill und laut. Kein Wunder, dass sie bei der Umfrage der Textilwirtschaft den letzten Platz belegte. Ursula von der Leyen bringt zumindest ein bisschen Schwung in ihren Stil: Seit die Bundesfamilienministerin sich die blonde Mähne zum Bob stutzen ließ, wirkt sie nicht mehr tantig, sondern geradezu jugendlich, fast so, als würde sie sich gern mal mit den Fingern durch die Haare fahren. Schade nur, dass ihre Liebe zu Röcken erlosch, nachdem eine Diskussion über die Höhe ihre Säume entbrannte.

In Deutschland beweist ausgerechnet ein Mann, wie man sich klassisch und glaubwürdig kleidet. Es ist zwar nicht nur sein Stil, der Guttenberg über die Parteigrenzen hinweg zu einem der beliebtesten Politiker macht, aber seine Maßanzüge, Hermès-Krawatten und gegelten Haare sind das i-Tüpfelchen auf einer stimmigen Erscheinung. Nur Mut, möchte man den Damen da zurufen, raus aus dem Tarnanzug und rein ins modische Vergnügen.

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