Trend Zurück in die Zukunft

Moment, das kennen wir doch? Retro-Pop ist der Sound dieses Herbstes - aber nicht jede Reise in die Vergangenheit beglückt.

Was ist da passiert?

Hat jemand die Zeit angehalten? Hat uns jemand - ohne dass wir es bemerkt hätten - für ein paar Jahrzehnte eingefroren und nun wieder aufgetaut? Warum kommt uns die Musik dieses Herbstes so seltsam bekannt vor? Ganz einfach: Weil das meiste, was nun als neu etikettiert auf den Markt kommt, tatsächlich schon da war. Das Radio wird zur Zeitmaschine: Retro-Pop ist der Sound des Herbstes. Ist das schlimm? Ja und nein - kommt drauf an, wer sich wie woran vergreift.

Robbie Williams' Ausflug in die Vergangenheit wird darüber entscheiden, ob der Brite nicht vielleicht bald selbst einer von gestern sein wird. Auf seinem neuen Album "Rudebox" (ab 20. Oktober) schwelgt Williams in den 80er Jahren - leider nicht besonders gekonnt. Sein Zitat-Pop wirkt bruchstückhaft, unfertig, und eine eigene Handschrift ist nicht zu erkennen. Es ist zum Heulen: Der Kerl kann so viel - nur zeigt er es immer seltener. Schon auf "Intensive Care" war von der einstigen Meisterschaft nicht mehr viel zu hören. Die Trennung von Songwriter Guy Chambers hat Williams künstlerisch nie verkraftet - bis heute nicht.

Auch ein anderer früherer Großer geht mit Retro kräftig baden: Rod Stewart hatte mit seinen "American Songbook"-Alben großen kommerziellen Erfolg, obschon er mit dem Erbe der Vergangenheit nicht immer liebevoll umging. Sein Ausflug in die Siebziger "Still The Same - Great Rock Classics Of Our Time" (ab 3. November) ist leider ziemlich fade Kost:

Da erklingt kein einziger origineller Gedanke und keine Idee, die das Song-Recycling zu etwas Besonderem machen würden. Ob "Have You Ever Seen The Rain" von John Fogerty oder "Still The Same" von Bob Seger - die Musik plätschert gefällig und ereignislos dahin. Und warum man Bonnie Tylers "It's A Heartache" covern muss, weiß wohl nur Rod Stewart allein.

Apropos ereignislos: Level 42 sind wieder da. "Man sollte bei dem bleiben, was man kann", sagt Sänger und Bassist Mark King und nennt das Comeback-Album ehrlicherweise gleich "Retroglide" (ab 20. Oktober). Wie es klingt? Wie Level 42 immer geklungen haben. Ohne Hits wie "Lessons In Love" oder "Running In The Family", dafür aber wieder mit der offenbar unverzichtbaren Fingerakrobatik am Bass. Hat die Welt auf diese Rückkehr gewartet? Eher nicht.

Viel sympathischer als ältere Retro-Gleiter sind Künstler, die die Vergangenheit als Reservoir begreifen, daraus die besten Ideen nehmen, sie ironisch brechen oder verfremden und sie schließlich in ihre eigene Biografie einbauen: Das gerade erschienene zweite Album der Scissor Sisters "Ta-Dah" ist so ein Fall: Hemmungslos plünderten die Amerikaner den Fundus des Glampop der Siebziger und Achtziger und machten sich einen Spaß daraus, den Sound der Bee Gees oder Elton Johns für eigene Zwecke einzusetzen.

Noch weiter zurück gehen die Pipettes, drei Damen aus dem englischen Seebad Brighton, die auf ihrem Debütalbum "We Are The Pipettes" (bereits erschienen) zuckersüße GuteLaune-Melodien im Stil der 60er Jahre spielen.

Doch auch das ist noch nicht das Ende der Retro-Welle: Am 20. Oktober kommt das erste Album der Puppini Sisters heraus, die von der Plattenfirma als "The First Modern Jazz Girl Group" vermarktet werden. Natürlich ist das schamlos an der Wirklichkeit vorbeigetextet: The Puppini Sisters bedienen sich auf "Betcha Bottom Dollar" in den 40er Jahren und kopieren Sound und Stil der legendären Andrews Sisters fast eins zu eins: dreistimmiger adretter Hochglanzswing, der natürlich nicht ohne den Hit "Mr Sandman" auskommt. Bevor wir auch die Puppini Sisters verfluchen: Auf den zweiten Blick ist das Repertoire der drei Damen stellenweise überraschend originell: Kate Bushs "Wuthering Heights"? Darauf muss man erst mal kommen. Im blitzsauberen Andrews-Sisters-Style macht das richtig Spaß. Gegen Freude aber ist nichts einzuwenden - selbst wenn es Retro-Freude ist.

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Tobias Schmitz

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