"Harry Potter war in vielerlei Hinsicht ein höchst ungewöhnlicher Junge". Ich kann nicht sagen, wie oft ich diesen Satz schon gelesen oder gehört habe. Während Pippi Langstrumpf die Ikone meiner Kindheit war, hat mich Harry Potter durch meine gesamte Jugend begleitet. Jedes der Bücher habe ich direkt am Erscheinungstag gekauft, als Dumbledore am Ende des sechsten Bandes starb, heulte ich Rotz und Wasser. Es fühlte sich an, als wäre ein Familienmitglied von mir gegangen. Jede Autofahrt in die Sommerferien hörte ich mit meiner Familie die Hörbücher, gelesen von Rufus Beck. Wenn man nach zwölf-Stunden-Fahrten nicht aus dem Auto aussteigen möchte, sagt das viel über die Qualität der Bücher und Becks Stimme aus, so viel sei gesagt.
Immer neue "Harry Potter"-Details: J.K. Rowling, es nervt!
Natürlich schaute ich mir auch jeden neuen "Harry Potter"-Film in den Kinos an. Auch wenn die Filme mich nie gänzlich überzeugt haben. Zu wenig Hogwarts-Stimmung, zu viele Aussparungen und Daniel Radcliffe als Harry wäre auch nicht meine erste Wahl gewesen. Aber gut, mich hat ja niemand von Warner Brothers gefragt. Auch heute, fast 20 Jahre, nachdem ich den ersten Band gelesen habe, ist die Geschichte des höchst ungewöhnlichen Jungen noch immer Teil meines Lebens. Und ja, ich gebe zu, dass ich mittlerweile dank "Pottermore.com" weiß, dass ich nach Gryffindor gehöre und mein Patronus aus unerfindlichen Gründen ein Igel ist.
Aber was J.K. Rowling seit ein paar Jahren macht, nervt nur noch. Versteht mich nicht falsch: Was Rowling geschaffen hat, ist in meinen Augen Pflichtprogramm für jeden, der auf gute Literatur steht. Ganz einfach. Sie hat eine Welt erfunden, die den Leser fesselt. Sie hat zwischenmenschliche Probleme so einfühlsam beschrieben, dass sie jeder nachempfinden konnte. Sie hat es geschafft, dass selbst die Kinder, die vorher kein Buch angerührt haben, ihre Werke nicht aus der Hand legen wollten. Das mach mal einer nach. Doch J.K. Rowling hätte Harry längst ruhen lassen sollen.Sei es auf ihrem Twitter-Profil oder in Interviews: Immer wieder kommt die Britin mit neuen Details um die Ecke. Als wäre das letzte Kapitel des siebten Bandes nicht schon schlimm genug gewesen!
Dumbledore ist homosexuell
Denn was macht gute Dinge erst richtig gut? Genau, sie sind endlich. Auch die Geschichte Potters war endlich. Er besiegt Voldemort, den, dessen Name nicht genannt werden darf. Die Schlacht von Hogwarts, beim Barte des Merlin, was für ein Höhepunkt! Aber nein. Nicht für Rowling, die in "Das verwunschene Kind" eine neue Geschichte aus dem Hut zaubert. Auf einmal muss Harrys Sohn, der irgendwie durch die Zeit reist, wieder gegen das Böse kämpfen. Bitte?!
Dass Dumbledore homosexuell war, erzählte Rowling vor einigen Jahren. Okay, gut zu wissen. Aber wer von uns Hardcore-Fans wollte nähere Details zum Sexleben von Dumbledore und Grindelwald erfahren? Verfolgt man eine aktuelle Diskussion auf Twitter ist die Antwort: vermutlich niemand. Rowling hätte weitaus mehr erreichen können, wenn sie Dumbledores Homosexualität schon in den Büchern thematisiert hätte.
Im vergangenen Herbst habe ich mir den zweiten Teil von "Fantastic Beasts" im Kino angesehen. Mit Freunden, die mindestens genauso "Potter"-verrückt sind wie ich. Wir sahen einen toll produzierten Film, mit guten Schauspielern, aber ohne jeglichen Spannungsbogen. Was hatten wir uns da gerade angetan? Wir waren ernüchtert.
Mit J.K. Rowling und "Harry Potter" ist das wie bei einer zu Ende gegangenen Beziehung. Rowling kann nicht loslassen. Dieses Gefühl ist menschlich und nachvollziehbar. Das Gute ist ja aber: "Harry Potter" ist nicht verloren. Die Bücher bleiben. Für immer. Rufus Becks Stimme schallt noch immer auf zwölf Stunden langen Fahrten durchs Auto. "Harry Potter" lebt. Und trotzdem sollte man ihn einfach, endlich, ruhen lassen.
