Selbständigkeit vs. Sicherheit Meine unvernünftigste Entscheidung war die beste meines Lebens

Von Refinery-29-Autorin Ninia LaGrande
Fester Job vs. Selbständigkeit: Diese Entscheidung war eindeutig
"Meinen festen Job aufzugeben war bekloppt, aber richtig"
© Getty Images
Unsere Autorin tauschte ihren festen Job gegen die Selbständigkeit ein, wurde schwanger und ist glücklicher als je zuvor. Wie hat sie das nur angestellt?

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In Vorstellungsgesprächen habe ich mich immer am meisten vor der Frage gefürchtet, wo ich mich selbst in fünf oder zehn Jahren sähe. Ich weiß nicht einmal, was nächste Woche passiert. Und ich habe mich überall gesehen – als Co-Moderatorin von Barbara Schöneberger beim deutschen Fernsehpreis, als erfolgreiche Bestseller-Autorin mit Wohnsitz in der Toskana oder als Weltenbummlerin mit zwei Kindern im Schlepptau. Aber niemals, wirklich niemals, in irgendeinem Büro. Schon gar nicht in der Firma, in der ich gerade mit zusammengeknoteten Haaren und leichten Bügelfalten in der Bluse saß und diese Frage beantworten sollte. Ich saß dort nur, weil ich lange Zeit dachte, das müsste so sein.

Bei der Berufsberatung in der neunten Klasse hatte ich noch sehr viel Idealismus. Als die nette Dame der Arbeitsagentur sagte, Schauspielerin oder Schriftstellerin sei doch Blödsinn, ich solle lieber was Vernünftiges machen, nämlich Wirtschaftsinformatik, stand ich kommentarlos auf und verließ den Raum. Was fiel der Dame ein, meine Pläne zu durchkreuzen?

Mein Freund sieht mich nur am Wochenende

Fünfzehn Jahre später sitze ich in einem hell erleuchteten Großraumbüro und schiebe lustlos Budgets für eine Social-Media-Kampagne hin und her. Immerhin: Um 15 Uhr mache ich Feierabend, springe in einen Zug, trete irgendwo in Deutschland auf, schlafe ein paar Stunden, stehe zu früh wieder auf und fahre mit dem ersten Zug nach Hause, um pünktlich im Büro zu sitzen. Das macht Spaß. Und einsam. Mein Freund sieht mich nur am Wochenende und Familienfeiern müssen ein Jahr im Voraus angekündigt werden.

2015 reichte es mir dann und ich wollte eine Veränderung. Allerdings hatte ich ein Problem: Ich bin der größte Sicherheitsmensch, den ich kenne. Einen sicheren Arbeitsplatz mit allen Vorzügen gegen Risiko zu tauschen – ist das nicht komplett unvernünftig? Ja, das ist es. Aber der sichere Arbeitsplatz für die nächsten Jahre ist mir zu langweilig – und das wiegt schwerer. Ich mache also das, was ich in solchen Fällen immer mache: eine To-do-Liste. Zwei Wochen später kündigte ich. Jetzt war es offiziell. Mein Herz raste, als ich das Büro meiner Chefin verließ.

Den Business- und Finanzplan, den ich für einen Gründerzuschussantrag schreiben muss, verlangt, dass ich drei Jahre im Voraus berechne, was ich verdienen und ausgeben werde. Während ich verzweifelt vor den Unterlagen sitze, trinke ich sehr viel Wein und schreibe dann fröhlich irgendwelche Zahlen auf. Auch wenn der Finanzplan am Ende eher ein Produkt meiner Fantasie darstellt, hat mir das Niederschreiben meines Plans geholfen, überhaupt eine Idee davon zu bekommen, was ich genau machen will und was ich dazu brauche. Als ich die gesammelten Unterlagen in der Arbeitsagentur abgebe, bin ich so aufgeregt, wie noch nie in meinem Leben.

Prägnantes Duo: Sie sind pink, auffällig - und haben einen Job, den ihnen kaum jemand zutraut
Sie sind pink, auffällig - und haben einen Job, den ihnen kaum jemand zutraut

Tatsächlich bekomme ich kurze Zeit später die Bestätigung für den Gründerzuschuss. Was für ein Gefühl. Ich habe mir selbst einen Job geschaffen. Abends im Bett denke ich darüber nach, was ich mache, wenn mich in zehn Jahren jemand anruft und sagt: "Guten Tag, Sie haben vor zehn Jahren ein Kreuzchen falsch gesetzt, bitte zahlen Sie den Zuschuss zurück." Solche Dinge gehen mir durch den Kopf. Ich erzähle einem ebenfalls selbstständigen Freund davon und er antwortet trocken: "Willkommen im Club. In ein paar Jahren hast du diese Angst nur noch einmal pro Woche und nicht mehr dreimal täglich.“

Als ich dann ein Jahr später einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand halte, habe ich diese Angst nicht nur dreimal am Tag, sondern quasi permanent. Selbstständig mit Kind – geht das? Wie lange kann ich aussetzen, ohne dass ich bei meinen Kunden von der Bildfläche verschwinde? Wie lange will ich aussetzen?

Meinen festen Job aufzugeben war bekloppt, aber richtig

Was mir schließlich am meisten half: Ich sprach mit Frauen, die auch selbstständig und Mutter sind. Die mir versichern, dass das klappen würde. Dass es anstrengend sei, aber auch sehr flexibel. Ich las einen tollen Artikel von Teresa Bücker, die in ihren "10 Ideen für eine entspannte Schwangerschaft" dazu riet, einen Finanzplan aufzustellen. Und ich hielt mir vor Augen, dass ich nicht alleine bin. Irgendwann, im letzten Drittel der Schwangerschaft, waren die Sorgen plötzlich weg. Alles, was ich tat, war Kuchen essen und Podcasts hören. Das erste Mal in meinem Leben konnte ich den Arbeitseifer Arbeitseifer sein lassen.

Ich habe einen unbefristeten Arbeitsvertrag, feste Arbeitszeiten, freie Wochenenden und alle Absicherungen, wie Krankenkasse und Rentenvorsorge, gegen die Selbstständigkeit getauscht. Das war das Bekloppteste und gleichzeitig Beste, was ich in meinem Leben getan habe. Ich bin ins kalte Wasser gesprungen. Auch, wenn ich das unschätzbare Privileg hatte, mir im Vorfeld nebenbei schon eine Grundlage aufbauen zu können. Ich bin immer noch jeden Monat unsicher, ob ich in drei Monaten noch die Miete zahlen kann und wie viel Steuern ich wohl nächstes Jahr berappen muss. Ich hasse Buchhaltung und Steuerkram so sehr, wie man nur hassen kann. Doch trotzdem möchte ich das niemals wieder hergeben. Ich bin stolz, dass ich mich getraut habe. Und dass es funktioniert.